Grauzone: Der 13. Fall für August Häberle (German Edition)
nickte Linkohr, der sich die interessanteste Nachricht wie immer bis
zuletzt aufgehoben hatte: »Und was glauben Sie, wer den Unterlagen zufolge ihm
auch einen großen Betrag anvertraut hat?«
Häberle
entschied, den Kollegen zu verblüffen: »Lassen Sie mich raten. Ich würd’ sagen,
die Karin Waghäusl.«
Linkohr
verkniff sich seinen Lieblingssatz.
113
Jensens beharrliches Schweigen
dauerte nur bis zum Spätnachmittag. Seiner aussichtslosen Situation schien er
sich erst bewusst geworden zu sein, nachdem ein Richter des zuständigen Ulmer
Amtsgerichts einen Haftbefehl wegen des Verdachts des Mordes in mindestens fünf
Fällen ausgestellt hatte. Wenig später führte Jensen ein ausführliches Gespräch
mit einem Münchner Anwalt und entschied sich angesichts der bereits
erdrückenden Beweislage für ein Geständnis.
Am frühen Abend fuhr Häberle in die
Untersuchungshaftanstalt, die sich in einem düsteren Backsteingebäude hinter
dem trutzig anmutenden historischen Komplex des Ulmer Landgerichts versteckte.
Nach den üblichen Zugangskontrollen wurde der Chefermittler in einen kahlen
Besprechungsraum geführt, in dem Rechtsanwalt Udo Hollbacher und sein Mandant
Dirk Jensen bereits auf ihn warteten.
Die
drei Männer nahmen um einen hölzernen Tisch Platz, auf dem Hollbachers Akten
lagen, die zum Großteil aus ausgedruckten E-Mails und mit der Hand
beschriebenen Zetteln bestanden. Jensens Gesicht wirkte im grellen Licht zweier
Leuchtstoffröhren fahl und beinahe leblos. Die Ereignisse der vergangenen
Stunden hatten nichts mehr von dem Strahlen eines wortgewandten und
selbstbewussten Mannes übrig gelassen.
»Herr
Jensen hat sich zu einem Geständnis entschlossen«, sagte Hollbacher und legte
seine hohe Stirn in Falten, wie dies Anwälte immer tun, wenn sie sich mit
Fakten auseinandersetzen müssen, die keinen Spielraum für Ausflüchte lassen.
Häberle
nickte ernst. »Das ehrt Sie«, sagte er, an Jensen gewandt. Dass sie sich so
schnell an diesem Ort gegenübersitzen würden, hatte keiner von ihnen für
möglich gehalten.
Jensen
sah auf die Tischplatte, ohne eine Regung zu zeigen.
»Mein
Mandant hat mich beauftragt, Ihnen gegenüber eine Erklärung abzugeben«, fuhr
Hollbacher sachlich fort und nahm ein beschriebenes Blatt Papier zur Hand. »Er
räumt ein, Frau Karin Waghäusl am Vormittag des vergangenen Donnerstags an der
Seilbahn in Tannheim abgepasst, sich zu ihr in die Gondel begeben und ihr eine
tödliche Injektion gesetzt zu haben.«
Jensen
schloss die Augen, als wolle er an diese Szene nicht mehr erinnert werden.
»Herr
Jensen«, fuhr Hollbacher fort, »ist zuvor mit einem im Hotel Hochsteinhof
entliehenen Fahrrad auf den Wirtschaftswegen bei Tannheim umhergefahren, um den
Anschein zu erwecken – falls er gesehen werden würde – ein
ganz normaler Radler zu sein. Er hat zunächst vorgehabt, nach der
Seilbahnbergfahrt sofort wieder zu Fuß ins Tal zurückzugehen, um mit dem am
Parkplatz deponierten Fahrrad zu verschwinden. Doch nachdem ihn an der
Bergstation niemand so richtig zur Kenntnis genommen habe, sei er gleich zu der
Hütte weitergegangen.« Die monotone Stimme des Rechtsanwalts hörte sich an, als
schildere er einen ganz normalen Vorgang. »Er hat Frau Waghäusls Rucksack mitgenommen,
um zu verhindern, dass man sie mit den darin enthaltenen Papieren sofort würde
identifizieren können. Und um sich unkenntlich zu machen, hatte sich Herr
Jensen einen künstlichen Bart angeklebt, den er zusammen mit dem Rucksack den
Steilhang hinabgeworfen hat.«
Häberle
lauschte, ohne sich Notizen zu machen. Er würde die Erklärung ohnehin
schriftlich bekommen.
»Herr
Jensen räumt ferner ein«, machte Hollbacher weiter, »am Abend des vergangenen
Sonntags den Herrn Jonas Mullinger in der Landsberger Hütte angesprochen und zu
einem Gespräch im Freien überredet zu haben. Anlass für diese Aussprache sei
ein Telefonat gewesen, das Mullinger in der Nacht zuvor belauscht hat. Herr
Jensen musste befürchten, dass Mullinger zufällig von Dingen erfahren hatte,
die zu strafrechtlichen Konsequenzen hätten führen können. Es kam zu einer
handgreiflichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf Herr Mullinger unglücklich
abgestürzt ist.«
»Und
dann ist Herr Jensen bei Nacht zum Vilsalpsee abgestiegen – mit
Taschenlampe?«
»Genau
so ist es.«
Häberle
musste an die Schilderungen eines Zeugen denken, der behauptet hatte, am
Steilhang ein Irrlicht gesehen zu haben. »Jetzt würden mich aber
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