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Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Barbarendämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Barbarendämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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    Um den Tod zu begehen, waren die Menschen gekommen.
    Zuerst zerstreuten sie sich noch anderweitig.
    Doch dann blies der Henker in sein Horn.
    Die Menschen auf dem Festmarktplatz setzten sich in Bewegung. Weg von den Buden mit ihrem Fleischrauch und den kandierten Krusten, weg von den Feuerspeiern, die ihre Hitze über die Köpfe der Schaulustigen hauchten, weg von den überdachten Kartentischen, auf denen Hütchenspieler ihre Lügen verschleierten, weg von dem von stummgenähten Leibsklaven gezogenen Karussell, den schnatternden Wahrsagerinnen mit den Gesichtsbrandzeichen, den feilbietenden Fellhändlern, den Geschichten erzählenden Guckkastenmännern, den Tänzerinnen, die sich nach der Art von Schlangen wiegten, den Handwerkern mit ihrem zerbrechlich gehäuften Tand, den Kerzendrehern mit ihren Bienenwachshänden, den Sektenanwerbern mit ihren gemalten Untergängen, den Obstfrauen mit ihren schrumpeligen Früchten, den Getränkeausschenkern mit ihrem Schaum und ihren Scherereien, den Zuckerstangenmachern mit ihren klebrigen Versprechungen, den Musikanten, die sich selbst zum Tanz aufspielten, den dressierten, nacktrasierten Bärenkindern, weg von den bettelnden Krüppelkindern und den miteinander verfeindeten Glasbläserschulen.
    Der Henker hatte in sein Horn geblasen, und alle Attraktionen verblassten vor der Holzbühne mit dem Richtblock.
    Die Menschen drängelten, um die besten Stehplätze zu ergattern.
    Unweit der Bühne gab es ein hölzernes Treppenpodest für die Ehrwürdigen und Schönen der Stadt. An die sechzig Sitzplätze standen dort zur Verfügung, vom Pöbel sorgfältig durch Ketten abgesperrt und von Bütteln behütet. Von diesen Sitzplätzen waren höchstens achtzehn besetzt, und der junge Gelehrte Welw Indencron war einer dieser wenigen. Um nichts in der Welt hätte er diese Hinrichtung verpassen mögen, denn er hatte bereits den kurzen Prozess mitverfolgt, den man dem Hinzurichtenden zugestanden hatte. Indencron war fasziniert gewesen, ausgesprochen fasziniert. Noch niemals zuvor hatte er einen Angeklagten erlebt, der kein einziges Wort erwidert hatte. Indencron studierte die Menschwissenschaften an der Akademie dieser Niederstadt und glaubte, schon einiges begriffen zu haben über das Wesen der Menschen, aber einer wie dieser war ihm noch nie untergekommen.
    Die Menschen drängelten. Kinder nach ganz vorne. Ein Ältlicher kam zu Fall und schimpfte. Zwei Frauen beschwerten sich, dass sie zu wenig sehen konnten. »Setz dich doch auf meine Schultern, und zwar vor mein Gesicht, dann haben wir beide was davon, selbst wenn ich mit dem Rücken zur Köpfung stehen muss«, schlug ein Grobian der jüngeren der beiden Zeternden vor. Es gab Gelächter und hin und her fliegende Beleidigungen. Viele in der Menge aßen etwas, das sie sich eben noch von einer der Buden mitgenommen hatten, und da viel geschoben und gedrängt wurde, bekleckerten sich auch viele Leute gegenseitig, und es wurden herzhafte Knüffe und Maulschellen ausgeteilt.
    Mit einem Wort: Die Stimmung stieg.
    Der Henker war ein stattlicher Bursche mit einem Bauch wie ein Weinfass. Statt einer Henkerskapuze wie in anderen Städten üblich trug dieser eine blattgoldene Maske der unparteiischen Gerechtigkeit. Sein Richtbeil war nicht minder eindrucksvoll. Nicht jeder Mann im Publikum wäre in der Lage gewesen, dieses gewaltige Gerät überhaupt anzuheben. Der Henker ließ die Arme kreisen. Es wehte ein kühler Wind, er wollte nicht mit kalten Muskeln arbeiten.
    Man brachte den Delinquenten.
    Zwischen dem hinteren Bühnenbereich und dem Gefängnisgebäude wurde eine Gasse durch Seile und vereinzelte Stadtbüttel freigehalten. Auch dort drängten sich schon Schaulustige, die vorne keinen Platz mehr gefunden hatten. Die Schwächlicheren, die weniger Frechen und die Schlauen. Die Bühne war nämlich nicht erhaben genug, dass man von vorne ab der fünften Reihe noch gut sehen konnte, aber hier hinten war deutlich weniger los.
    Der Delinquent hatte eine Kapuze auf, wie sie in anderen Städten der Henker trug.
    Seine Hände waren hinter dem Körper gefesselt, seine Füße durch eine Kette behindert, die ihm nur Trippelschritte erlaubte. Dennoch gingen ein »Ah!« und ein »Oh!« durch die Menge. Der Delinquent war außergewöhnlich groß. Sein Körper starrte vor Schmutz, wies aber beeindruckend modellierte Muskeln und auch etliche Narben auf. Man konnte sein Gesicht nicht sehen, aber sein nur mit einem Schurz aus grobem Leinen

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