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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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Nase.«
    Arjun nickte, und auf die Eingabeaufforderung hin fing er an, Befehle zu tippen. Er hatte sich immer gefragt, wie Gabbar Singh’s sich über Wasser halten konnte, bis ihm Aamir seine Nebenbeschäftigungen verriet. Die Platten, Zusammenstellungen heruntergeladener pornografischer JPEGs, waren nur eine von mehreren Einnahmequellen. Er stellte auch illegale Softwarekopien her, handelte mit gebrauchter Hardware und verdingte sich als Gelegenheits-Webdesigner, Computerlehrer, Hochzeitsfotograf und (so behauptete es seine Geschäftskarte) als »Superstar-Filmheld/-schurke«. Da er nun erst einmal abgeblitzt war, zog er sich einen Stuhl in den Ladeneingang und las den Filmklatsch in Cineblitz, während er die geistlichen Hindugesänge fehlerhaft mitsang, die aus dem Hochzeitsladen dröhnten.
    Inzwischen loggte Arjun sich mit einem Passwort, das er nicht hätte wissen dürfen, und einem Benutzernamen, der jemand anderem zugewiesen war, in das Netz seines alten Colleges ein, eines Instituts, das fälschlich der Meinung war, es entziehe Studenten, wenn sie ihr Examen abgelegt hatten, jeglichen Zugang. Die Entdeckung, dass Arjun einen aktiven Account besaß, hätte den Netzwerkverwalter, Dr. Sethi, sehr erstaunt, war er doch der Ansicht, er gehe mit solchen Dingen sehr sorgsam um. Hätte ihm jemand verraten, dass ein ehemaliger Student sämtliche Zugangsbefugnisse, das Recht, Daten zu verändern oder zu löschen, und überdies auch noch die Möglichkeit habe, die Tätigkeiten aller anderen Benutzer zu kontrollieren, so hätte Dr. Sethi das als Spinnerei abgetan.
    Aber Arjun konnte all dies und noch mehr. Seit seinem allerersten Semester am NOIT hatte er ungehinderten Zugang zu Dr. Sethis geliebtem System.
    Niemand hatte jemals Arjuns unbefugte Gegenwart bemerkt, da er sie immer sorgfältig getarnt hatte, vor allem, wenn er an der Struktur des Netzwerks seine eigenen Veränderungen vornahm. Falls er Lust dazu gehabt hätte, hätte er jederzeit ein großes Chaos anrichten können, aber Chaos war nie seine Absicht gewesen. Warum etwas so Interessantes zerstören, wenn man stattdessen kreativ sein konnte? An dem Abend umging er wie üblich die Verzeichnisse mit den College-Accounts, mit der Privatkorrespondenz des Rektors, mit den Gehaltslisten des Kollegiums, den Prüfungsaufgaben für das nächste Semester und Dr. Sethis privatem Bodybuilder-Fotoarchiv. Stattdessen öffnete er ein harmlos wirkendes Unterverzeichnis, das der Doktor wahrscheinlich nie bemerkt hätte, oder wenn, dann hätte er ohne Zweifel angenommen, es sei mit alten Protokolldateien oder sonst welchen uninteressanten Produkten seiner Systemsoftware angefüllt. Arjun klickte in diesem Unterverzeichnis eine kleine Exe-Datei an und führte sie aus. Das kleine Programm öffnete ein zweites Anmeldefenster, in das er ein zweites Passwort tippte, mit dem er Zugang zu seinem eigenen Privatsektor im Netzwerk erlangte, den er im Laufe der Jahre allmählich abgeteilt und vor anderen Augen verborgen hatte.
    Ein geheimer Garten. Ein Laboratorium.
    Er gestattete sich einen raschen Blick auf eines seiner Projekte, dann machte er sich an die Öde und langwierige Arbeit, Sicherungskopien herzustellen, Dateien auszuwählen und sie aufs gegenwärtige Laufwerk zu kopieren, eine Angelegenheit, die über Gabbar Singh’s lahme Verbindung fast eine Stunde in Anspruch nahm. Während der blaue Balken gemächlich über den Bildschirm kroch, schlenderte er nach oben und trank in einem dhaba mit Blick auf die Hauptstraße einen süßen Milchkaffee. Es regnete. Der Verkehr war wie üblich erbarmungslos, wobei sich das tiefe Rumpeln der öffentlichen Verkehrsmittel mit dem Geratter von Taxis und dem wütenden Gesumm von Auto-Rikschas zu einem die ganze Tonskala umfassenden Getöse mischte, das nie nachließ, selbst nicht so spät am Abend. Kleine Jungs rannten hinter Bussen her, um Mais und Erdnüsse zu verkaufen. Klatschnasse Radfahrer mit Plastikfolien über den Köpfen strampelten vorbei. Eine Weile mischte er sich unter eine Menge, die einen Verkehrsunfall begaffte. Ein Motorroller lag auf der Seite, und mehrere Leute diskutierten mit dem Fahrer der weißen Großlimousine, die ihn angefahren hatte. Der arg mitgenommene Rollerfahrer saß ein kleines Stück entfernt auf dem Bordstein, presste ein Taschentuch gegen seinen Kopf und starrte verdutzt einen mitleidlosen Standbesitzer an, der ihm einen Sturzhelm zu verkaufen versuchte.
    Arjun ging zurück unter die Erde zu Gabbar

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