Grayday
Ringelblumengirlande um den Hals. Arjun bückte sich ungeduldig, um erst die Füße seiner Mutter, dann die seines Vaters zu berühren.
»Können wir jetzt gehen, Ma?«, flehte er.
»Beta, das Flugzeug fliegt nicht ohne dich ab.«
»Doch, das wird es, Ma.«
»Benimm dich nicht so albern.«
Obwohl sein Flug für drei Uhr morgens angesetzt war, begleiteten ihn insgesamt elf Leute. Nach einer Verzögerung, die ihm wie mehrere tausend Jahre vorkam, bildete sich endlich vor den Toren der Enklave ein Konvoi. Mr. Mehta ließ sich auf dem Fahrersitz des Familien-Ambassadors nieder. Die Federung stöhnte unter der Last von Menschen und Gepäck, der chowkidar salutierte, dann fuhr der Vater den Wagen in einem gebieterischen Schwenk auf die Straße, wo er eine Fahrradrikscha zu einem hastigen Schlenker zwang und einen Busfahrer dazu, hart auf die ausgeleierten Bremsen seines Fahrzeugs zu treten. Zwei weitere Wagen folgten ihnen.
Der Konvoi rauschte durch die unbeleuchteten Straßen von Noida, und Arjun legte die Wange an das kühle Glas der Fensterscheibe. Die Nacht dahinter war feucht und in Bewegung, eine Unterwelt, die von Lastwagenscheinwerfern durchzuckt und vom orangefarbenen Leuchten der Kochfeuer in den Slumhütten gefleckt war. Der Verkehr war stark, und sie brauchten eine Stunde bis zum Flughafen. Die Reklametafeln der Geschäfte an der Zufahrtsstraße priesen Bluejeans und Sportschuhe an, sie schienen Arjun wie eine Vorahnung der amerikanischen Zukunft zuzuwinken. Der Mehta-Klan drängte sich durch das Gewühl von Kundenwerbern und Fahrern vor der Abfertigungshalle, und alle elf Verwandten stellten sich mit in die lange Schlange. An den Abflugschaltern teilten Bedienstete der Fluggesellschaft Zollformulare aus, während rot uniformierte Träger Gepäck auf das Förderband stellten und indische Familien ihre entsetzlich überladenen Karren desorientierten Ausländern gegen die Knöchel schoben, die alle mit derselben typischen Mischung aus Fabrikkunstgewerbe, religiösem Krimskrams und Wanderausrüstungen beladen waren.
Schrittchen für Schrittchen rückte die Schlange vorwärts. Als sie sich der Spitze näherten, begann Mrs. Mehta ernsthaft zu schluchzen, wobei sie von ihrer Nachbarin getröstet wurde, was Ramesh sofort elektronisch für die Nachwelt festhielt. Als er seine Dokumente übergab und erklärte, dass er entgegen allem Anschein allein reise, fühlte Arjun voller Stolz, dass er in den Augen seiner Familie endlich etwas Lohnendes tat. In einem Film wäre die Szene mit Musik untermalt gewesen, und er hätte eine Schar von Langstreckenpassagieren in einer Tanznummer angeführt.
Sein Vater legte ihm die Hände auf die Schultern. »Mein Sohn, wir wissen, du wirst sehr erfolgreich sein. Enttäusche uns nicht.«
»Ich werde mein Bestes tun, babaji.«
Priti zupfte ihn am Ärmel. »Komm als Millionär zurück, Bro!« Verwandte umringten ihn, um ihre guten Wünsche anzubringen. Mrs. Mehtas Klagegeschrei wurde immer lauter. »Gott segne dich, beta!«, schrie sie, »Gott segne dich!« In seiner wachsenden Ungeduld hörte Arjun kaum, was sie sagten. So schnell er konnte, nahm er seine Bordkarte und rannte zur Passkontrolle. Kaum war er außer Sichtweite, begab er sich zur Toilette, wo er die Girlande in seine Reisetasche stopfte und sich die Schmiere von der Stirn wusch.
D ie Motoren röhrten wie eine ferne Stadionmenge, während der feuchte Polymergeruch von in der Mikrowelle erhitztem Essen den Mief der Kabine durchdrang. Es war Arjuns erster Flug, und von dem Moment an, als er gespürt hatte, wie sein Körper sich vom Boden erhob, befand er sich in einer geradezu religiösen Verzückung. Zuerst waren es die Lichter der Stadt gewesen, die wie Hochzeitsdekorationen unter der Tragfläche ausgebreitet lagen.
Darauf folgte die eher intime Befriedigung eines Erfrischungstuchs und eines Beutels, der eine Zahnbürste, eine Tube Zahnpasta und eine Schlafmaske aus schwarzem Nylon enthielt. Kaum waren die Anschnallzeichen erloschen, hatte er sich auf eine Wanderung zur Toilette begeben, wo er entdeckte, dass die Klobrille mit einer Papierhülle überzogen war. Er brachte einige Zeit damit zu, den Damenbindenspender und die automatische Vakuumspülung genau zu untersuchen. Nach einer Weile hörte er jemanden an die Tür klopfen, und eine zuckersüße Stewardessenstimme erkundigte sich, ob bei ihm alles in Ordnung sei. Er bestätigte, dass es ihm gut gehe, vielen Dank, und machte mit seinen Untersuchungen weiter. Als
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