Grayday
er schließlich hinaustrat, fand er zu seinem Erstaunen eine ganze Schlange ermattet dreinblickender Menschen auf dem Gang versammelt.
Inzwischen war er mit auf dem Scheitel sitzender Schlafmaske und gegen die Ohren geschmiegten Schaumgummistöpseln seiner Kopfhörer damit beschäftigt, die ergonomische Strenge seines Speisetabletts zu würdigen. Die Art, wie der Obstsaftbecher genau in die Kaffeetasse eingepasst war, die geometrische Abstraktheit des namenlosen rosafarbenen Desserts, ja die Untergliederung des Tabletts selbst – alles schien in Kenntnis seiner Lifestyle-Vorlieben entworfen worden zu sein. Bestimmte Details wie etwa der Plastikring, mit dem die Serviette an das Besteck geklemmt war, waren besonders faszinierend. Selbst das klitschige und kompakte Essen, das so ganz anders war als seine Beschreibung im Bordmagazin, hatte seinen unverwechselbaren Raumfahrtcharme.
Während er auf den Knopf für die Stewardessen drückte, um noch mal Kaffee zu verlangen, spielte er mit den Bedienungsknöpfen auf der Armlehne herum und stellte fest, dass jeden Moment der Film Naughty Naughty, Lovely Lovely auf dem Hindi-Bordkanal anfangen sollte. N2L2 war ein Riesenhit, und obwohl er ihn schon siebenmal gesehen hatte, lehnte er sich erfreut zurück, um ihn sich nochmals anzusehen. Mehr als erfreut. Wenn er kein erklärter wissenschaftlicher Rationalist gewesen wäre, hätte er es als ein Zeichen aufgefasst, als eine Segnung seiner Bestrebungen, dass die Fluglinie diesen Film zur Unterhaltung der Passagiere ausgewählt hatte. Schließlich war N2L2, der Gewinner von acht Filmfare- Preisen und der erste Film von Rocky Prasad, in dem die Debütantin Leela Zahir die Hauptrolle spielte, die Ursache dafür gewesen, dass Arjun überhaupt in diesem Flugzeug saß.
Nicht jeder würde wegen eines Films eine wichtige Lebensentscheidung fällen. Dass er aufgrund von Naughty Naughty, Lovely Lovely, einem Unterhaltungsfilm, so leicht, dass er fast gasförmig war, überhaupt so etwas wie eine Entscheidung gefällt hatte, wies ihn als wahren Liebhaber des volkstümlichen Kinos aus. Arjun gehörte zu jener Menschenmasse, die am Wochenende der Uraufführung von N2L2 nach Eintrittskarten angestanden und damit dem Film hundert Millionen Rupien eingebracht hatten, einer der erfolgreichsten Starts der indischen Filmgeschichte. Arjun hatte große Erwartungen gehabt (er hatte Rocky Prasads Filme schon immer gemocht), aber nun entdeckte er auf seinem Platz im Parkett des Cineplex Aakash mehr, als er für möglich gehalten hätte: Der Film war ein einziger Aufruf, sein Leben zu ändern. In seinem Helden fand er ein Vorbild, das noch mächtiger war als der berühmte Amitabh Bachchan, dessen schlaksige Gestalt seine Teenagerjahre beherrscht hatte. Und während jetzt die starken Düsentriebwerke ihn in Richtung Kalifornien schoben, war es eine Art Ehrfurcht, mit der er am Lautstärkeregler drehte und die Schaumgummiknöpfe des Kopfhörers zurechtrückte, die Haltung eines Menschen, der im nächsten Moment Zwiesprache mit seinen innersten Hoffnungen und Träumen halten wird.
N2L2 ist eine Liebesgeschichte. Ihr Held, Dilip, ist ein häuslicher junger Mann. Trotz seines guten Aussehens und seiner Collegeausbildung begnügt er sich damit, auf dem väterlichen Bauernhof herumzubummeln, der inmitten der malerischen gelben Senffelder des Pandschab liegt. Er tut wenig, außer sich auf diesen Feldern herumzufläzen, den Wolken zuzusehen, an Grashalmen zu kauen und mit den Scharen hübscher Bauernmädchen zu flirten, die fröhlich mit Wasserkrügen und großen bunten Seidentüchern hin und her trippeln. Dilip singt von den Wolken, den Mädchen und seiner allgemeinen Lebensfreude, die im selben Augenblick durch die Ankunft von Aparna gestört wird, einer Schönheit aus London, die in die alte Heimat zurückgekehrt ist, um ihre Verwandten zu besuchen.
Aparna (gespielt von Leela Zahir) ist all das, was Dilip nicht ist. Zwar besitzt sie traditionelle Werte, wie wir in einer Bildmontage von ihr beim anmutigen roti- Backen, bei ernsten Gebeten und in einer Szene sehen können, in der sie mit ihren manikürten Händen die Füße alter Verwandter umfasst, aber sie ist auch eine zielstrebige Investmentbankerin, die zum Karriereerfolg von dem Wunsch getrieben wird, den Ruin ihres Vaters zu rächen, den ein jahrelanges Gerichtsverfahren herbeigeführt hat. In einer lustigen Verwechslungsszene spricht Dilip sie schalkhaft an, weil er meint, das Paar dunkler Augen
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