Grenzen setzen – Grenzen achten
zeigt sich im Konsum. Es muss immer mehr geben, alles muss uns sofort zur Verfügungstehen, jederzeit, sobald wir ein Bedürfnis danach verspüren. Das hat durchaus ein Doppelgesicht: Wenn wir alles kaufen können, ist es schwer, die eigene Grenze zu erfahren. Immer mehr Menschen verschulden sich. Sie können sich keine Grenzen in ihrem Konsum setzen, bis irgendwann der Schuldenberg auf ihnen so schwer lastet, dass er ihr Leben erneut und umso schmerzlicher in enge Grenzen weist.
Die angedeuteten Erfahrungen in der Begleitung und unsere Beobachtung der Zeitverhältnisse haben uns ermutigt, diesem Problem der Grenze nachzugehen. Wir haben in der Bibel nach Grenzerfahrungen gefragt und das Thema der Grenze in seelsorglichen Gesprächen bewusst beachtet. Es hat uns selbst erstaunt, wie häufig uns in letzter Zeit dieses Problem begegnet ist. Sobald man dafür sensibilisiert ist, taucht es immer wieder auf. Wir wollen freilich keine systematische psychologische oder gesellschaftliche Darlegung über den Umgang mit Grenzen schreiben, sondern nur auf einige Aspekte aufmerksam machen, die uns in unserer Arbeit wichtig geworden sind, Aspekte, die etwas über unsere gegenwärtige Situation aussagen und die offensichtlich aber auch zum Menschsein gehören. Dabei helfen uns die biblischen Bilder und einige Märchen, die um dieses Thema kreisen, die eigenen Erfahrungen besser zu verstehen. Weil das so ist – und um darauf aufmerksam zu machen – haben wir schon in der Überschrift einzelner Kapitel ein Wort oder eine Erzählung aus der Bibel anklingen lassen. Manchmal haben wir die Bibelstelle aus der lateinischen Übersetzung der Vulgata übernommen. Dort ist oft von Grenze die Rede, wo die Einheitsübersetzung andere Worte und Bilder gebraucht. Die Worte aus der Bibel und andere Texte aus der menschheitlichen Überlieferung versuchen wir als Bilder zu erschließen, in denen das Geheimnis der Grenze und des Abgrenzens aufleuchtet.
Wir haben dieses Buch in vielen Gesprächen und in mehreren Korrekturdurchgängen des Geschriebenen gemeinsam erarbeitet. Wenn also im Text „wir“ steht, drückt es unsere gemeinsamen Erfahrungen aus. Wenn Formulierungen wie „ich“, „meine Schwester“ usw. auftauchen, dann beziehen sie sich auf den Schreiber des Textes: Anselm Grün. Die beschriebenen Erfahrungen beziehen sich meist auf die Begleitung von Menschen. Ramona Robben begleitet im Gästehaus der Abtei Münsterschwarzach Einzelgäste, die sich für einige Tage ins Kloster zurückziehen. Pater Anselm begleitet vor allem Priester und Ordensleute im Recollectiohaus. Wir haben im Text nicht angegeben, aus welcher Begleitung die Beispiele stammen. Und wir haben darüber versucht, die Beispiele allgemein zu fassen und manchmal leicht zu verändern, so dass man die betroffenen Personen nicht erkennen kann. Die Grenze der Menschen zu wahren, die in die Begleitung kommen, ist uns ein wichtiges Anliegen. Daher haben wir weniger konkrete Beispiele erzählt als vielmehr unsere Erfahrungen einfließen lassen, die wir über den Verlauf einer langen Zeit in der Begleitung gemacht haben.
1. Grenzen verhindern Streit
Von der Balance zwischen Nähe und Distanz
Interessenkonflikte
Abgrenzung ist ein altes Menschheitsthema. Auch in der Bibel finden wir es an zentraler Stelle. In der Geschichte Israels reflektiert sich Menschheitsgeschichte, und die Geschichte Israels beginnt mit Abraham. Abraham hört den Ruf Gottes, auszuziehen aus seiner Heimat und seinem Vaterhaus in das Land, das Er ihm zeigen wollte. Die Grenzen seines Vaterlandes sind ihm zu eng geworden. Gott befiehlt ihm, auszubrechen aus dem begrenzten Raum, in dem er bisher gelebt hat. Abraham gehorcht diesem Ruf und nimmt seine Frau und seinen Neffen Lot mit sowie die ganze Habe, die sie erworben hatten. Das Land im Negeb, in dem Abraham und Lot mit ihrem Vieh hin- und herzogen, war zu klein für beide. Weil es ständig Streit zwischen den Hirten Abrahams und den Hirten Lots gab, sagte Abraham zu Lot: „Zwischen mir und dir, zwischen meinen und deinen Hirten soll es keinen Streit geben; wir sind doch Brüder. Liegt nicht das ganze Land vor dir? Trenn dich also von mir! Wenn du nach links willst, gehe ich nach rechts; wenn du nach rechts willst, gehe ich nach links“ (Gen 13,8f). Lot zieht nun nach Osten und Abraham nach Westen. Er lässt sich in Kanaan nieder. Nachdem Abraham die bisherigen Grenzen hinter sich gelassen hat, muss er neue Grenzen ziehen, damit er und sein Neffe Lot
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