Grenzen setzen – Grenzen achten
zeigt uns die Bibel ein anderes Konzept von Frieden: Jesus bringt der ganzen Erde Frieden durch die Ohnmacht seiner Liebe. Er verzichtet auf äußere Machtmittel. Er vertraut der Liebe, die in dem hilflosen Kind aufleuchtet und alle Dunkelheit aus dem Stall der Armut vertreibt. Als er geboren wird, singen die Engel: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade.“ (Lk 2,14) Dieser Friede ist nicht an die Grenzen Israels oder an die Grenzen des römischen Reiches gebunden. Er gilt allen Menschen, auf denen Gottes Wohlgefallen ruht. Und er ist grenzenlos, weil er göttlich ist.
Große Kämpfer für den Frieden, wie Mahatma Gandhi und Martin Luther King, haben nie nur für den Frieden in ihrem eigenen Land gekämpft. Sie hatten immer die ganze Welt im Blick. Der Friede, den sie erstrebten, galt allen Menschen. Wir müssen heute schmerzlich zusehen, wie Nationen, die den Weltfrieden auf ihre Fahnen geschrieben haben, diesen aber nicht erreichen, weil sie zuerst an sich denken und weil sie meinen, ihn – wie die Römer – mit Waffengewalt durchsetzen zu können. Der Friede, den Jesus meint, sprengt und öffnet Grenzen. Es ist kein Friede, der mit Gewalt erfochten wird, sondern ein Friede, der aus dem Herzen kommt und zu allen Menschen strömt. Der Friede, der von Jesus ausgeht, hat teil an der Grenzenlosigkeit der Liebe. Von der Liebe sagt Paulus: „Die Liebe hört niemals auf.“ (1 Kor 13,8) Sie überwindet die Grenzen zwischen den Menschen und Völkern. Und sie kennt auch in uns selbst keine Grenze.
Mit sich selbst in Einklang kommen
Die Frage ist, wie wir zu diesem Frieden gelangen, der im eigenen Herzen beginnt und über die Grenzen menschlicher Herzen hinausgreift. Lukas zeigt uns in der Schilderung der Geburt Jesu, wie auch in uns Gottes Friede Wirklichkeit werden kann. So wie Jesus vom Himmel auf die Erde hinabstieg, so müssen auch wir den Thron unserer hohen Ideale verlassen und uns in die Niederungen dieser Welt begeben. Der Friede kann nicht von oben verordnet werden. Er muss hineingebracht werden gerade in die Orte des Unfriedens. Das Land Palästina war damals ein Land des Unfriedens, genauso wie heute. Die Römer hatten das Land besetzt. Das Volk fühlte sich unterdrückt. Untergrundkämpfer übten ständig Sabotageakte aus. In diese Situation hinein wird Jesus geboren. Gott wagt es, in dem Kind in der Krippe hilflos und ohnmächtig zu werden. Er kommt nicht mitgöttlicher Macht, sondern in der Ohnmacht der Liebe. Der Friede muss von innen her kommen, nicht mit äußerer Macht. Und der Friede entsteht nur, wenn wir mit uns selbst in Einklang kommen. Mit sich zufrieden wird der, der ganz im Augenblick lebt, der seine Wünsche loslässt und sich auf diesen Augenblick einlässt. Er sagt Ja zu dem, was er ist und was er hat.
Jeder kennt in sich die Sehnsucht nach Frieden. Wenn wir aber ehrlich sind, entdecken wir in uns auch Bereiche, die voller Unfrieden sind, in denen wir uns zerrissen fühlen. Wir müssen den Frieden eindringen lassen in die unbefriedeten Bereiche unserer Seele, in das innere Chaos, in die Grabenkämpfe, die sich in unserem eigenen Herzen abspielen. Wenn der Friede alle Bereiche in uns durchdrungen hat, dann wird er auch die Grenzen überspringen, die wir zwischen uns Menschen errichtet haben: die Grenzen zwischen Arm und Reich, die Grenzen zwischen Juden und Griechen, zwischen Männern und Frauen, zwischen Alten und Jungen, und die Grenzen zwischen den verschiedenen Kulturen und Religionen. Wir haben es nicht mehr nötig, uns gegenüber Andersdenkenden abzugrenzen. Wir wünschen ihnen den Frieden, den wir im Herzen spüren.
Frieden hat eine zutiefst spirituelle Dimension – und eine ebenso psychologische wie gesellschaftliche und politische Reichweite. Lukas beginnt die Geschichte Jesu mit dem Ruf der Engel bei seiner Geburt: „Friede den Menschen auf Erden.“ Als Jesus kurz vor seinem Tod feierlich in Jerusalem einzieht, da rufen ihm die Leute zu: „Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Herrlichkeit in der Höhe!“ (Lk 19,38) In der Geburt Jesu ist Gottes Friede auf die Erde herabgestiegen. In seinem Tod am Kreuz steigt er zum Himmel auf. In seinem Leben hat Jesus den Frieden in alle Bereiche des menschlichen Lebens hineingebracht. Er hat alles mitseinem Frieden durchdrungen. Jesus ist nach Lukas, wie schon einmal hervorgehoben, der göttliche Wanderer, der mit uns wandert und im Wandern
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