Grenzlande 1: Die Verpflichtung (German Edition)
ihm.
31
Lord Gherat führte mich zu einem anderen Nebenraum, trat zwischen die Wachen, die davorstanden, und klopfte an die Tür, die von einem weiteren Wachposten geöffnet wurde. »Lasst ihn herein!«, rief jemand, und der Wachposten wich zurück. Als ich durch die Tür trat, sah ich Jusson, der auf einem Diwan saß, umringt von Höflingen. Hinter ihm stand Lordkommandeur Thadro, der mich ausdruckslos ansah. Offenbar hatte ich ihn nicht sonderlich beeindruckt, als ich mich in die Empfangsschlange eingereiht hatte.
Jusson dagegen lächelte. »Komm herein, Hase.«
Ich unterdrückte rasch den Gedanken, dass ich lieber meine erste Woche Grundausbildung bei meinem alten Sergeant neu durchleben würde, und gehorchte. Ich hörte, wie die Tür sich schloss, und sah mich um, aber ich war allein eingetreten. Gherat war draußen geblieben.
»Komm rein, Cousin, und setz dich«, sagte Jusson.
Ich suchte mir einen freien Stuhl vor dem Diwan und setzte mich. Jusson gab jemandem ein Zeichen; die Person sah genauso aus wie einer der Haushofmeister und schenkte Wein, diesmal einen dunkelroten, in einen Glaspokal. Ich sah zu, wie die Außenseite des Glases sich mit Kondenswasser überzog.
»Hast du jemals Blutwein getrunken, Hase?«, fragte Jusson, als der Diener mir das Glas reichte.
»Nein, Euer Majestät.« Schweigen. Bis ich kapierte, dass dies mein Stichwort war. Ich trank einen Schluck, und die kühlen Aromen von Rotwein, Orangen, Zitronen, Limonen und Honig schienen in meinem Mund zu explodieren. »Er ist sehr gut, Euer Majestät.« Ich trank noch einen Schluck und stellte das Glas dann auf einen Beistelltisch. Jusson hob eine Braue, ein weiteres Stichwort, wie ich rasch begriff. »Verzeiht, Euer Majestät, aber …«, die andere Braue hob sich, und ich musste lachen. »Ich habe bereits mehrere Gläser Wein getrunken und noch nichts gegessen.«
Jusson hob die Hand, und ein Teller materialisierte sich vor mir, auf der Hand eines Lakaien.
»Kein Fleisch, richtig?«
»Ja, Euer Majestät.« Ich fragte mich, wer die königlichen Spione sein mochten.
»Du hast meine Erlaubnis, mich in diesem Raum mit meinem Namen anzusprechen, Cousin.«
»Danke, Jusson.«
Der König lächelte, lehnte sich auf dem Diwan zurück und sah mir beim Essen zu. Diesmal kam ich mir wie die Mastgans zum Festival vor. Jusson lachte leise, und ich blickte kauend hoch. Er grinste. »Sag, Hase … was für ein interessanter Name! Du siehst überhaupt nicht wie einer aus. Wie bist du daran gekommen? Ist es ein Spitzname?«
Ich schluckte. »Nein, Sire …«
Seine Braue zuckte hoch.
»… Jusson, meine Mutter …« Jemand lachte leise.
»Lady Hilga«, sagte Jusson.
»Ja, Sire … Jusson. Sie sagte, sie hätte mir den Namen gegeben, weil ich so schnell war und mich verstecken konnte, während man zusah. Allerdings weiß ich nicht, wie sie das zwei Wochen nach meiner Geburt an meinem Namenstag sagen konnte.« Ich trank einen Schluck Wein. »Ich nehme an, dass nach sechs Kindern sie und mein Pa…«
»Lord Rafe.« Erneut kicherte jemand.
»Sie nennen sich jetzt Lerche und Zweibaum.« Ich trank noch einen Schluck. »Jedenfalls sind ihnen wohl die Namen ausgegangen, als ich zur Welt kam.«
Jusson beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf seine Knie. »Sechs Brüder und Schwestern? Eine große Familie.«
»Wir sind zusammen acht, Cousin. Ich habe noch eine kleine Schwester.«
»Wahrhaftig! Wie heißt sie denn? Eichhörnchen?«, fragte einer der Höflinge, was die anderen mit einem Lachen quittierten.
Ich erwiderte nichts, sondern dachte daran, wie begeistert die entzückenden Ladys von Freston wohl auf das Fußkettchen von Sro Kenalt reagieren würden. Der Blick des Lordkommandeurs zuckte kurz zu dem Höfling, bevor er mich wieder ausdruckslos ansah.
»Und wie heißt deine Schwester, Cousin?«
Ich sah den König an und blinzelte einmal langsam. »Spatz.«
»Singt sie?«
Diese Frage überraschte mich. Das Bild von meiner Schwester auf ihrer ersten Feierlichen Versammlung erschien vor meinem inneren Auge, wie sie die Anrufung gesungen hatte und wie selbst der alte, knurrige »Steht-mit-den-Hühnern-auf« in das »So sei es!« eingestimmt hatte. »Ja, Sire.«
»Dann hatte deine … Ma vielleicht ganz recht, dich so zu nennen«, meinte der König. Die Höflinge kicherten.
»Ja, Sire.«
»Jusson, Hase. Oder Cousin.«
»Ja, Cousin.«
Der König lächelte wieder, während er mich mit seinen schwarzen Augen eindringlich musterte. »Also,
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