Grenzlande 2: Die Königstreuen (German Edition)
Das Erntefest nahte, die Feier der letzten großen Versammlung des Jahres. Der Wind murmelte und raunte mir Geschichten von Eichelsammlern und Zugvögeln zu, die nach Süden aufbrachen; dann sauste er davon, ließ die Bänder an den Laternenpfosten flattern und fuhr zwischen die Menschen auf dem Platz. Ich lächelte, während ich ihm zusah und den vertrauten Anblick, die vertrauten Geräusche und Gerüche aufsog.
Zu Hause.
Das heißt, mein Zuhause während der letzten fünf Jahre.
Geboren und aufgewachsen war ich in den Grenzlanden, einer lockeren Allianz aus Faena, fantastischen Bestien und ähnlichen Lebewesen, die friedlich und zufrieden im Norden des Königreichs Iversterre hausten. Einst hatte sich das Volk, wie sie sich nannten, bis zu den Südlichen Seen in einem Netzwerk aus Stadtstaaten, kleinen Lehnsgütern, Domänen, Splittergruppen, Stämmen und Clans ausgebreitet, die sich alle fröhlich betrogen und hintergingen, während sie die Faena-Version von Jeder gegen Jeden spielten. Es war das goldene Zeitalter der wechselnden Allianzen, des Verrats und Betrugs gewesen. Dann tauchten eines Tages die Menschen auf und begannen ihre eigenen Machtspiele, manchmal mit List, ein andermal mit blutiger Gewalt. Das Volk wurde Stück um Stück vertrieben, bis es endlich den Kopf aus dem Sand nahm und feststellte, dass es an den Rand des Gebietes gedrängt worden war, das einst vollständig ihm gehört hatte. Das regte die Bewohner ziemlich auf, und sie schoben ihre Meinungsverschiedenheiten für die Zeit des letzten Eroberungskrieges des menschlichen Königreichs beiseite. Zum ersten Mal bekamen es die Menschen jetzt mit einem vereinten Gegner zu tun. Iversterres Königliche Armee wurde windelweich geprügelt, und die Armee der Grenzlande veranstaltete auf ihren Resten einen Siegestanz.
Verlorene Kriege und die Abneigung des Volkes Menschen gegenüber konnten meine Eltern, Lord Rafe ibn Chause und Lady Hilga eso Flavan, nicht abschrecken, ihr Heimatland zu verlassen und sich in einer entlegenen Provinz der Grenzlande niederzulassen. Sie nahmen neue Namen an, Zweibaum und Lerche, wurden Bauern und Weber und schenkten zwischen den Ernten acht Kindern das Leben. Sie glaubten fest daran, dass die Faena sie in Ruhe lassen würden, wenn sie die Faena in Frieden ließen. Sie hatten recht. Allerdings lag das hauptsächlich daran, dass meine Ma und mein Pa sich dank eines glücklichen Zufalls im Gebiet von Dragoness Moraina ansiedelten. Die ehrenwerte Moraina schätzte Unruhe und Belästigungen gar nicht. Es sei denn freilich, sie selbst verursachte sie.
Obwohl ich Hase genannt werde, bin ich ein Mensch. Und als Mensch wuchs ich unter Faena auf. Ich hatte viele Aufgaben zu erfüllen, musste Felder pflügen, Ställe ausmisten und all die anderen Dinge lernen, die das Leben auf einem Bauernhof so interessant machen. Aber ich verbrachte auch Frühlingsnachmittage mit einer Baumelfe, die mich die Kunst des Waldes lehrte, schwamm im Sommer mit Flussottern, lauschte in Winternächten Geschichten von Schwertkämpfen und Zauberei, die von umherziehenden Barden erzählt wurden. Das war das goldene Zeitalter meiner Kindheit.
Als ich heranwuchs, wurde jedoch augenfällig, dass ich die Gabe der Magie besaß, und meine Eltern schickten mich als Schüler zu dem Magier Kareste. Von dem lief ich schon bald weg, nach Iversterre, wo ich Reiter in der Königlichen Armee von König Jusson IV. wurde. Ich blickte nie zurück, bis zum letzten Frühling, als meine Vergangenheit mich mit der Raffinesse eines brünstigen Bullen einholte.
Während einer Routinepatrouille im letzten Frühling hatte sich meine Abteilung in den Bergen oberhalb von Freston verirrt. Als ich den Rückweg zur Garnison auskundschaftete, stolperte ich über Laurel, einen Berglöwen und Anführer der Fae. Bevor ich mich versah, hatte ich auch schon die Feder, die ich jetzt in meinem Zopf trage, das Zeichen einer Verpflichtung, die meine Kameraden und mich aus Freston zunächst in die Königliche Stadt Iversly, dann in die Grenzlande und an den Hof Seiner Gnaden Fyrst Loran spülte.
Ebenso erlangte ich letzten Frühling meine volle Magiermacht mit allen vier Aspekten: Luft, Erde, Feuer und Wasser. Die meisten Magier verfügen nur über einen Aspekt.
Laurel hat mir außerdem letzten Frühling die Wahrheitsrune in die Handfläche geritzt. Es ist die gleiche Rune, die im letzten Krieg mit solch verheerendem Erfolg gegen die Königliche Armee Iversterres eingesetzt
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