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Gretchen

Gretchen

Titel: Gretchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Einzlkind
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etwas zu denken, das jenseits von Holterdiepolter lag.
    Und nun gab es nichts mehr für sie zu tun.
    Die Bühne gehörte ihr.
    Ihr ganz allein.
    Endlich.
    Sie stand auf, nahm das Handtuch und ging wieder zurück ins Haus. Im Badezimmer setzte sie sich an den notdürftig eingerichteten Schminktisch und schaute irritiert in den Schminkspiegel. War das eine neue Falte? Über der linken Augenbraue? So was aber auch. Die Tagescreme war eingezogen. Es war an der Zeit für das allmorgendliche Meisterwerk. Auf der Ablage lagen und standen ihre treuen Wegbegleiter Shiseido, T.LeClerc, Lancôme und Dior. Ein letzter Augenaufschlag und das mechanische Prozedere konnte beginnen: Make-up mit einem kleinen Schwämmchen sorgsam verteilen. Kurze Zeit warten. Puder mit einer Quaste auftragen. Mit Rouge ein wenig Wangenröte ins Spiel bringen, nicht zu viel, nicht billig. Hellgrauen Lidschatten auftragen, den zweiten, etwas dunkleren, in der Lidfalte verstreichen. Mit einem cremefarbenen Kajalstift über das untere innere Augenlid fahren, mit einem dunkelgrauen das äußere Lid nachzeichnen. Die fein gezupften Augenbrauen mit einem Augenbrauenstift betonen. Die Wimpern mit einer Zange in Schwung bringen und anschließend mit Mascara zweimal tuschen. Die Lippen abpudern, die Umrisse mit einem Konturenstift hervorheben und mit einem Pinsel ausmalen. Zum Finale die Lippen auf ein Kosmetiktuch pressen. Im Spiegel das Wunder kontrollieren. Perfekt. Applaus. Danke.
    Sie ging in ihre Schlafkammer. Keine zwanzig Quadratmeter groß. Eine Zumutung. Auf dem Bett lag ihre Auswahl. Ihre engste. Eine ganze Woche lang hatte sie hin und her überlegt, keine leichte Entscheidung, es war eine Premiere, die Unsicherheit groß. Kurz hatte sie an ein schlichtes, schwarzes Kleid von Chanel gedacht, klassisch zurückhaltend, eine Geste des Understatements, eine Haltung, gewiss. Aber diese Bescheidenheit war absolut fehl am Platz. Es war die Zeit für Größe. Für besinnungslose Dekadenz. Nicht protzig, nur umwerfend. Und wenn sie ehrlich war, dann waren all die Alternativen nur Staffage, keine ernsthafte Konkurrenz. Im tiefsten Innern ihres Herzens wusste sie, dass es nur das Eine sein konnte. Seit sie es das erste Mal sah. Ein zufälliges Treffen, nicht einmal mit ihrem Lieblingsdesigner und doch Liebe auf den ersten Blick. Das wertvollste Stück, das sie besaß: das blau-schwarze, langärmelige, hochgeschlossene und bis auf den Boden reichende Fransenkleid von Tom Ford. Ein Märchen. Eine Sünde. Ein Verbrechen. Dazu graue Wildleder-Pumps von Yves Saint Laurent und einen dunkelgrauen Kaschmir-Schal von Johnstons of Elgin. Aus ihrem Schmuckkästchen nahm sie einen schlichten Weißgoldring und die Ohrstecker ihrer Großmutter, die sie nur zu ganz besonderen Anlässen anlegte. In der silbernen Fassung war ein schwarzer Opal eingearbeitet, den Albert, der Geliebte ihrer Großmutter, dereinst aus Australien heimbrachte, als Verlobungsgeschenk, unter Einsatz seines Lebens, denn ein Messer zwischen den Rippen war damals ein beliebter Zeitvertreib.
    Sie zog alles an, betrachtete ihre Unsterblichkeit im Spiegel und bestäubte sich mit einem Hauch Eau du Soir.
    In der Küche machten sich erste Sonnenstrahlen breit. Winzige Partikel flimmerten unruhig umher, als seien sie ganz aufgeregt über all die Dinge, die noch kommen mochten. Neben der Haustür standen ein gepackter schwarzer Rollkoffer und ein Korb, den sie tags zuvor mit kleinen Kostbarkeiten gefüllt hatte. Sie setzte sich wieder an den Tisch und lackierte ihre Fingernägel in Frenzy von Chanel. Ihr temporärer Lieblingsnagellack. Eine Mischung aus Lila, Grau und Beige, eine Erinnerung an die alten Pastellmaler und die großkarierten Psychos. Sie pustete und pustete und schaute aus dem Fenster. Keine hundert Meter entfernt sah sie einen jungen Mann den Weg hochkommen. Ihr persönlicher Assistent. Zwei vor acht. Er war pünktlich. Selbstverständlich. Dem feierlichen Anlass entsprechend in einen dunklen Anzug gezwängt. Vor Jahren schon herausgewachsen. Wie amüsant.
    Sie stand auf und ging zu Charles Manson, der in seinem Lazarettnest lag und noch die Reste des Frühstücks verdaute. Er hatte auffällig an Gewicht zugelegt. Und er war ein Mysterium. Ein Weltwunder, um genauer zu sein. Niemand auf der Insel hatte bisher von einem Papageientaucher gehört, der vier Wochen lang hingebungsvolle Pflege erhielt, sich bester Gesundheit erfreute und trotzdem beharrlich weigerte, in den Schoß von Mutter Natur

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