Grim
ganz verstehen. Samhur hingegen flog auf ihren Schwingen, er kannte sie durch und durch. Er war ein Jäger der Schatten, und er konnte Grim in die Finsternis begleiten, die ein Kind des Feuers in sich trug – an Orte, an die sie ihm nicht folgen konnte.
Ein Scharren auf einem der Häuserdächer riss Mia aus ihren Gedanken, doch sie zwang sich, nicht zu den Dämonen hinaufzusehen, die ihnen mit wisperndem Spott folgten. Sie wagten es nicht, die Gruppe anzugreifen, aber Mia hörte sie lachen, sie spürte die boshaften Blicke auf ihrer Haut, und sie wusste, dass sie nur darauf warteten, dass einer von ihnen Schwäche zeigen würde. Die Befreiung von Verus und seinen Schergen hatte die Dämonen aus den Schatten gerufen, und nicht alle fühlten sich noch an die Gesetze gebunden, die sie seit Jahrhunderten in Ketten hielten. Hin und wieder hob Lyskian kaum merklich die Hand, dann verstummten die Beschimpfungen ihrer Verfolger, doch gleich darauf brandeten sie erneut hinter ihnen auf, und Mia wusste, dass Grim ihnen am liebsten die Zungen aus ihren falschen Hälsen gerissen hätte. Selbst Remis starrte mit steiler Falte zwischen den Augen in die Nacht. Es fiel dem Krieger der Grünen Faust offenbar nicht leicht, die Beleidigungen über sich ergehen zu lassen. Sie sah zu den Hartiden hinüber. Edwin fixierte Samhurs Feuer wie einen Schutzzauber, doch Radvina hatte die Furcht von ihren Zügen gezwungen und schaute zu den Dächern hinauf, als wollte sie die Dämonen mit dem funkelnden Zorn in ihren Augen pulverisieren. Jaro hingegen beachtete ihre Verfolger kaum. Stattdessen spähte er neugierig in die Fenster der verlassenen Häuser, als würde er nur auf eine Gelegenheit warten, um in die Wohnungen einsteigen zu können. Erst, als Samhurs Feuer aufloderte, verstummte jedes Geräusch auf den Dächern nachhaltig.
»Nein«, flüsterte Edwin, als sie schließlich vor einem kleinen Holzhaus stehen blieben. Sein Blick glitt über die Marionetten hinter den Fenstern, und er schluckte hörbar. »Habt ihr die Puppen vergessen? Sie sind gewachsen und … «
RadvinatratnäheransFensterheranundkniffdieAugenzusammen,alskönntesiedaswahreWesenderMarionettenaufdieseWeiseerkennen.»Siehabenunsangegriffen«,sagtesie,unddieAngstkehrteaufihreZügezurück.»Undwirkonntennichtsdagegentun.«
»Auf keinen Fall gehe ich noch einmal in dieses Haus«, stellte Edwin mit lauter werdender Stimme fest. »Ich bin doch nicht lebensmüde!«
Jaro verdrehte die Augen. »Ihr seid solche Feiglinge! Die Gabe der Hartide ist eine Verschwendung bei Menschen wie euch. Bleibt doch draußen und lasst euch von Dämonen fressen – zwei Klötze weniger am Bein.«
Mia hatte schon zu einer Entgegnung angesetzt, als Samhur sich umwandte. Er musterte Radvina und Edwin mit Kälte, doch als er zu sprechen begann, klang seine Stimme beinahe sanft. »Es ist ein Vorrecht von euch Menschen, Angst zu haben. Doch ihr solltet klug genug sein, um zu wissen, wann ihr es in Anspruch nehmen solltet und wann nicht. Denn es kann beides sein: Schutz wie Lähmung.« Dann umfasste er Jaro mit seinem Blick und seine Stimme wurde ebenso frostig wie der Ausdruck auf seinen Zügen. »Ignoranz hingegen ist nur eines«, sagte er. »Dumm.«
Damit öffnete er die Tür. Radvina stolperte vorwärts, als wäre sie von jemandem geschubst worden, und Edwin folgte dem Jäger mit seltsamem Glanz in den Augen. Jaro verzog das Gesicht zu einer Grimasse, aber als er Mias spöttischen Blick bemerkte, setzte auch er sich in Bewegung. Grim folgte ihm mit den Augen, kurz glaubte Mia, er würde Jaro eine Kopfnuss verpassen, so unverhohlen spiegelte sich der Zorn auf seinen Zügen. Doch er schaute ihm nur nach, und gemeinsam betraten sie das Haus des Jägers.
Mia konnte sich Angenehmeres vorstellen, als an den Ort der albtraumhaften Visionen zurückzukehren, mit denen Samhur sie sich vom Hals gehalten hatte, und als ihr der rauchige Duft entgegenschlug, seufzte sie. Die Marionetten rührten sich nicht, doch Samhur flüsterte etwas, und kaum, dass seine Stimme ihre Wangen streifte, ging ein Glanz durch ihre Augen und machte sie für einen Moment lebendig. Mia fühlte die kalte Finsternis ihrer Blicke, sie meinte, das Rascheln von Stoff und das Klackern hölzerner Glieder zu hören, aber als sie sich umschaute, saßen die Puppen da wie zuvor, die Blicke starr ins Nirgendwo gerichtet, so dass sie unmöglich sagen konnte, ob ihre Eindrücke wirklich gewesen waren oder nicht. Samhur hatte einen Sessel
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