Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
so lange dasitzen, bis er den Stößer herbeigeschafft hätte. Die Bedienten mußten ihm täglich Wasser und Brot bringen, was man so im Gefängnis kriegt; da hörten sie, wie der Mann immer wieder schrie: »Ach, hätt’ ich auf meine Tochter gehört! Ach, hätt’ ich auf meine Tochter gehört!«
Da gingen die Bedienten zum König und meldeten, daß der Gefangene immer schrie: »Ach, hätt’ ich doch auf meine Tochter gehört!«, und daß er nicht essen und trinken wollte. Da befahl er den Bedienten, sie sollten den Gefangenen vor ihn bringen, und da fragte ihn der Herr König, warum er immer schrie: Ach, hätt’ ich auf meine Tochter gehört! »Was hat Eure Tochter denn gesagt?« – »Ja, sie hat gesprochen, ich sollte den Mörsel nicht bringen, sonst müßt’ ich auch den Stößer schaffen.« – »Habt Ihr so eine kluge Tochter, so laßt sie einmal herkommen.«
Also mußte sie vor den König kommen, der fragte sie, ob sie denn so klug wäre, und sagte, er wollte ihr ein Rätsel aufgeben; wenn sie das treffen könnte, dann wollt’ er sie heiraten. Da sprach sie gleich ja, sie wollt’s erraten. Da sagte der König: »Komm zu mir, nicht gekleidet, nicht nackend, nicht geritten, nicht gefahren, nicht in dem Weg, nicht außer dem Weg, und wenn du das kannst, will ich dich heiraten.«
Da ging sie hin und zog sich aus splitternackend; da war sie nicht gekleidet, und nahm ein großes Fischgarn und setzte sich hinein und wickelte es ganz um sich herum, da war sie nicht nackend; und borgte einen Esel fürs Geld und band dem Esel das Fischgarn an den Schwanz, darin er sie fortschleppen mußte, und war das nicht geritten und nicht gefahren. Der Esel mußte sie aber in dem Fahrgleise schleppen, so daß sie nur mit der großen Zehe auf die Erde kam, und war das nicht in dem Weg und nicht außer dem Weg. Und wie sie so daherkam, sagte der König, sie hätte das Rätsel getroffen, und es wäre alles erfüllt. Da ließ er ihren Vater los aus dem Gefängnis und nahm sie zu sich als seine Gemahlin und befahl ihr das ganze königliche Gut an.
Nun waren etliche Jahre herum, als der Herr König einmal auf die Parade zog; da trug es sich zu, daß Bauern mit ihren Wagen vor dem Schloß hielten, die hatten Holz verkauft; etliche hatten Ochsen vorgespannt und etliche Pferde. Da war ein Bauer, der hatte drei Pferde, davon kriegte eins ein junges Füllchen, das lief weg und legte sich mitten zwischen zwei Ochsen, die vor dem Wagen waren.
Als nun die Bauern zusammenkamen, fingen sie an, sich zu zanken, zu schmeißen und zu lärmen, und der Ochsenbauer wollte das Füllchen behalten und sagte, die Ochsen hätten’s gehabt; und der andere sagte nein, seine Pferde hätten’s gehabt, und es wäre sein. Der Zank kam vor den König, und der tat den Ausspruch, wo das Füllen gelegen hätte, da sollt’ es bleiben; und also bekam’s der Ochsenbauer, dem’s doch nicht gehörte. Da ging der andere weg, weinte und lamentierte über sein Füllchen.
Nun hatte er gehört, wie daß die Frau Königin so gnädig wäre, weil sie auch von armen Bauersleuten gekommen wäre: ging zu ihr und bat sie, ob sie ihm nicht helfen könnte, daß er sein Füllchen wieder bekäme.
Sagte sie: »Ja, wenn Ihr mir versprecht, daß Ihr mich nicht verraten wollt, so will ich’s Euch sagen. Morgen früh, wenn der König auf der Wachtparade ist, so stellt Euch hin mitten in die Straße, wo er vorbeikommen muß, nehmt ein großes Fischgarn und tut, als fischet Ihr, und fischt also fort und schüttet das Garn aus, als wenn Ihr’s voll hättet«, und sagte ihm auch, was er antworten sollte, wenn er vom König gefragt würde.
Also stand der Bauer am andern Tag da und fischte auf einem trockenen Platz. Wie der König vorbeikam und das sah, schickte er seinen Läufer hin, der sollte fragen, was der närrische Mann vorhätte. Da gab er zur Antwort: »Ich fische.« Fragte der Läufer, wie er fischen könnte, es wäre ja kein Wasser da. Sagte der Bauer: »So gut als zwei Ochsen können ein Füllen kriegen, so gut kann ich auf dem trockenen Platz fischen.«
Der Läufer ging hin und brachte dem König die Antwort; da ließ er den Bauern vor sich kommen und sagte ihm, das hätte er nicht von sich, von wem er das hätte; und sollt’s gleich bekennen. Der Bauer aber wollt’s nicht tun und sagte immer: Gott bewahr; er hätt’ es von sich. Sie legten ihn aber auf ein Gebund Stroh und schlugen und drangsalten ihn so lange, bis er’s
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