Grimms Märchen, Vollständig überarbeitete und illustrierte Ausgabe speziell für digitale Lesegeräte (German Edition)
gleich tausend auf einen Schuß, und die alle hierher?«, fragte der hoffärtige Schneider. »Was?«, rief der Hasenfuß von einem Riesen und war heftig erschrocken, »laß es nur für heute gut sein und lege dich schlafen.«
Der Riese fürchtete sich so gewaltig, daß er die ganze Nacht kein Auge zutun konnte und hin und her dachte, wie er’s anfangen sollte, um sich den verwünschten Hexenmeister von Diener je eher je lieber vom Hals zu schaffen. Kommt Zeit, kommt Rat. Am andern Morgen gingen der Riese und der Schneider zu einem Sumpf, um den ringsherum eine Menge Weidenbäume standen. Da sprach der Riese: »Hör einmal, Schneider, setz dich auf eine von den Weidenruten, ich möchte um mein Leben gern sehen, ob du imstand bist, sie herabzubiegen.«
Husch, saß das Schneiderlein oben, hielt den Atem ein und machte sich schwer, so schwer, daß sich die Gerte niederbog. Als er aber wieder Atem schöpfen mußte, da schnellte sie ihn, weil er zum Unglück kein Bügeleisen in die Tasche gesteckt hatte, zu großer Freude des Riesen so weit in die Höhe, daß man ihn gar nicht mehr sehen konnte. Wenn er nicht wieder heruntergefallen ist, so wird er wohl noch oben in der Luft herumschweben.
Der Nagel
E in Kaufmann hatte auf der Messe gute Geschäfte gemacht, alle Waren verkauft, und seine Geldkatze mit Gold und Silber gespickt. Er wollte jetzt heimreisen, und vor Einbruch der Nacht zu Haus sein. Er packte also den Mantelsack mit dem Geld auf sein Pferd, und ritt fort. Zu Mittag rastete er in einer Stadt, als er weiter wollte, führte ihm der Hausknecht das Roß vor, sprach aber »Herr, am linken Hinterfuß fehlt im Hufeisen ein Nagel.«
»Lass ihn fehlen«, erwiderte der Kaufmann, »die sechs Stunden, die ich noch zu machen habe, wird das Eisen wohl fest halten. Ich habe Eile.«
Nachmittags als er wieder abgestiegen war, und dem Roß Brot geben ließ, kam der Knecht in die Stube, und sagte: »Herr, euerm Pferd fehlt am linken Hinterfuß ein Hufeisen. Soll ichs zum Schmied führen?«
»Lass es fehlen«, erwiderte der Herr, »die paar Stunden, die noch übrig sind, wird das Pferd wohl aushalten. Ich habe Eile.«
Er ritt fort, aber nicht lange, so fing das Pferd zu hinken an. Es hinkte nicht lange, so fing es an zu stolpern, und es stolperte nicht lange, so fiel es nieder, und brach ein Bein. Der Kaufmann musste das Pferd liegen lassen, den Mantelsack abschnallen, auf die Schulter nehmen, und zu Fuß nach Haus zu gehen, wo er erst spät in der Nacht anlangte. »An allem Unglück«, sprach er zu sich selbst, »ist der verwünschte Nagel Schuld.«
Eile mit Weile.
Der arme Junge im Grab
E s war einmal ein armer Hirtenjunge, dem waren Vater und Mutter gestorben, und er war von der Obrigkeit einem reichen Mann in das Haus gegeben, der sollte ihn ernähren und erziehen. Der Mann aber und seine Frau hatten ein böses Herz, waren bei allem Reichtum geizig und mißgünstig und ärgerten sich, wenn jemand einen Bissen von ihrem Brot in den Mund steckte. Der arme Junge mochte tun, was er wollte, er erhielt wenig zu essen, aber desto mehr Schläge.
Eines Tages sollte er die Glucke mit ihren Küchlein hüten. Sie verlief sich aber mit ihren Jungen durch einen Heckenzaun, gleich schoß der Habicht herab und entführte sie durch die Lüfte. Der Junge schrie aus Leibeskräften: »Dieb, Dieb, Spitzbub.«
Aber was half das? Der Habicht brachte seinen Raub nicht wieder zurück. Der Mann hörte den Lärm, lief herbei, und als er vernahm, daß seine Henne weg war, so geriet er in Wut und gab dem Jungen eine solche Tracht Schläge, daß er sich ein paar Tage lang nicht regen konnte. Nun mußte er die Küchlein ohne die Henne hüten, aber da war die Not noch größer, das eine lief dahin, das andere dorthin. Da meinte er es klug zu machen, wenn er sie alle zusammen an eine Schnur bände, weil ihm dann der Habicht keins wegstehlen könnte. Aber weit gefehlt.
Nach ein paar Tagen, als er von dem Herumlaufen und vom Hunger ermüdet einschlief, kam der Raubvogel und packte eins von den Küchlein, und da die andern daran festhingen, so trug er sie alle mit fort, setzte sich auf einen Baum und schluckte sie hinunter. Der Bauer kam eben nach Haus, und als er das Unglück sah, erboste er sich und schlug den Jungen so unbarmherzig, daß er mehrere Tage im Bett liegen mußte.
Als er wieder auf den Beinen war, sprach der Bauer zu ihm: »Du bist mir zu dumm, ich kann dich zum Hüter
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