Grimwood, Ken - Replay
– das war die größte und augenfälligste Veränderung, obwohl sie auf lange Sicht nicht notwendigerweise Auswirkungen in die eine oder andere Richtung haben mußte. Sie waren nur noch sechs oder acht weitere Monate miteinander gegangen, erinnerte er sich, bis um die Weihnachtszeit herum. Sie hatte ihn wegen eines ›älteren Mannes‹ verlassen, erinnerte er sich lächelnd, wegen eines höheren Semesters, der zur medizinischen Hochschule in Tulane übergewechselt war. Jeff war ein paar Wochen verletzt und niedergeschlagen gewesen, dann begann er mit einer Reihe anderer Mädchen auszugehen: eine Weile mit einer hageren Brünetten namens Margaret, dann mit einem anderen dunkelhaarigen Mädchen, dessen Name mit D oder V anfing, dann mit einer Blondine, die eine Zunge hatte, mit der sie einen Knoten in einen Kirschstiel und weiß Gott was noch alles machen konnte. Er hatte Linda, die Frau, die er heiraten würde, erst nach dem College kennengelernt, als er an einem Radiosender in West Palm Beach arbeitete. Sie hatte an der Florida Atlantic University studiert. Sie hatten sich am Strand von Boca Raton getroffen…
Gott, wo war Linda jetzt im Moment? Zwei Jahre jünger als er, mußte sie noch auf der High-School sein und bei ihren Eltern leben. Er verspürte plötzlich den Wunsch, sie anzurufen, vielleicht weiter nach Süden bis nach Boca Raton zu fahren und sie zu sehen, sie zu treffen… Nein, das würde bestimmt nicht funktionieren. Es wäre allzu seltsam. Etwas Derartiges könnte in ferner Zukunft gefährlich werden, könnte irgend ein schreckliches Paradoxon hervorrufen.
Oder doch nicht? Mußte er sich wirklich um Paradoxa Sorgen machen, die alte Vorstellung von der Ermordung des eigenen Großvaters? Das war vielleicht gar keine angemessene Besorgnis. Er war kein Außenseiter, der in dieser Zeit herumwanderte und Angst davor haben mußte, sich selbst in einem früheren Alter zu begegnen; er war tatsächlich sein jüngeres Selbst, wesentlicher Bestandteil des Gewebes dieser Welt. Nur sein Bewußtsein stammte aus der Zukunft – und die Zukunft existierte nur in seinem Kopf.
Jeff mußte von der Straße herunterfahren und ein paar Minuten anhalten, den Kopf in den Händen, während er die Schlußfolgerungen in sich aufnahm, die sich daraus ergaben. Er hatte sich früher schon einmal gefragt, ob er seine Vergangenheit nicht womöglich halluzinierte. Doch wenn nun das Gegenteil zutraf, wenn das ganze komplexe Muster der nächsten zweieinhalb Jahrzehnte – angefangen vom Fall Saigons bis zum New Wave Rock und Personalcomputern – sich als eine Fiktion herausstellte, die irgendwie komplett ausgeformt in seinem Kopf entstanden war, über Nacht, hier in der realen Welt von 1963, die er niemals verlassen hatte? Das ergab ebenso viel Sinn wie jede andere auf Zeitreisen oder dem Leben nach dem Tod oder Dimensionsverwerfungen beruhende Erklärung, wenn nicht noch mehr.
Jeff ließ den Chevy wieder an, fuhr auf die zweispurige US 23 zurück. Locust Grove, Jenkinsburg, Jackson… die verfallenen, verschlafenen Kleinstädte der Provinz von Georgia glitten an ihm vorüber wie Szenen aus einem Film aus der Zeit der Depression. Vielleicht hatte ihn das zu seiner ziellosen Fahrt veranlaßt: die Zeitlosigkeit der Gegend jenseits von Atlanta, das totale Fehlen von Hinweisen darauf, welches Jahr oder welches Jahrzehnt gerade war. Verwitterte Schuppen mit Jesus-liebt-dich-Aufschriften in riesigen Buchstaben, die gestaffelten Highwayreime auf den aufeinander folgenden Werbeplakaten für Burma-Rasiercreme, ein älter schwarzer Mann, der ein Maultier nachführte… sogar das Atlanta von 1963 wirkte im Vergleich dazu futuristisch.
In Pope’s Ferry, genau nördlich von Macon, hielt er an einer winzigen Tankstelle mit angeschlossenem Laden an. Keine Selbstbedienungstanksäulen, kein Bleifrei; Gulf Super für dreiunddreißig Cent die Gallone, Normal für siebenundzwanzig. Er sagte dem Jungen draußen, er solle Super tanken und nach dem Ölstand sehen, zwei Liter nachfüllen, wenn er zu niedrig war.
Er kaufte sich im Laden ein paar Minisalamis und eine Dose Pabst, fingerte einen Moment lang irritiert an der Bierdose herum, bis er begriff, daß keine Aufreißlasche dran war.
»Sie müssen ja mächtig durstig sein, junger Mann.« Die alte Frau hinter der Theke lachte in sich hinein. »Versucht das Ding mit bloßen Händen aufzureißen!«
Jeff lächelte blöde. Die Frau zeigte auf einen Dosenöffner, der an einer Schnur neben der Kasse
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