Grischa: Die Hexe von Duwa: Ein Märchen aus Rawka (German Edition)
»Ja, scheint so.«
Wir räumten unsere Teller weg und schlenderten aus dem Essenszelt hinaus in den kühlen Abend. Wir gingen einen Umweg, weil wir einen Blick auf das Lager der Grischa werfen wollten. Ihr Pavillon war tatsächlich so groß wie eine Kathedrale. Er bestand aus schwarzer Seide und ganz oben flatterten blaue, rote und purpurne Wimpel. Dahinter verbargen sich die Zelte des Dunklen, bewacht von seiner Leibgarde und Entherzern der Korporalki.
Nachdem Alexej genug gesehen hatte, kehrten wir zu unseren Unterkünften zurück. Er ließ schweigend die Fingerknöchel knacken und ich ahnte, dass auch er an die Durchquerung der Schattenflur dachte. Den anderen schien es genauso zu ergehen, denn in der Unterkunft herrschte eine gedrückte Stimmung. Einige hatten sich hingelegt und versuchten zu schlafen, andere saßen im Schein der Funzeln und unterhielten sich leise. Manche umklammerten ihre Ikone und beteten zu den Heiligen.
Ich entrollte meine Decke auf meiner schmalen Pritsche, zog die Stiefel aus und hängte den Mantel auf. Dann kroch ich unter die mit Fell bezogene Decke, starrte in die Höhe und wartete auf den Schlaf. So lag ich lange da, bis alle Lichter gelöscht waren und die Gespräche leisem Schnarchen und dem Rascheln der Körper wichen.
Wenn alles nach Plan lief, würden wir morgen unbehelligt nach West-Rawka reisen und ich würde zum ersten Mal die Wahre See erblicken. Dort würden Maljen und die übrigen Fährtenleser rote Wölfe, Meeresfüchse und andere seltene Geschöpfe jagen, die es nur im Westen gab. Ich würde in Os Kerwo bei den Kartografen bleiben, um meine Ausbildung zu beenden und alles zu notieren, was wir unterwegs über die Schattenflur in Erfahrung bringen konnten. Auf dem Heimweg musste ich sie natürlich noch einmal durchqueren. Aber das war unvorstellbar lange hin.
Ich war immer noch wach, als ich es hörte. Tapp-tapp . Pause. Tapp . Dann noch einmal: Tapp-tapp . Pause. Tapp .
»Was ist das?«, murmelte Alexej auf der Nachbarpritsche verschlafen.
»Nichts«, flüsterte ich, schälte mich aber schon aus der Decke und schlüpfte in meine Stiefel.
Ich nahm meinen Mantel und schlich so leise wie möglich aus der Unterkunft. Als ich die Tür öffnete, hörte ich ein Kichern und dann rief eine Frau weiter hinten im dunklen Raum: »Wenn es der Fährtenleser ist, soll er zu mir kommen und mich wärmen.«
»Das wird er bestimmt tun, vor allem, wenn er sich Tsifil einfangen möchte«, erwiderte ich zuckersüß und glitt in die Nacht.
Meine Wangen brannten in der kalten Luft. Ich vergrub das Kinn im Mantelkragen und wünschte, ich hätte an Schal und Handschuhe gedacht. Maljen saß mit dem Rücken zu mir auf der wackeligen Treppe. Weiter hinten konnte ich Michail und Dubrow sehen, die im trüben Licht eine Flasche kreisen ließen.
Ich zog eine Grimasse. »Erzähl mir bitte nicht, dass du mich geweckt hast, um mir zu sagen, dass du zum Zelt der Grischa gehen willst. Was möchtest du hören? Einen guten Rat?«
»Du hast nicht geschlafen. Du hast wach gelegen und Sorgen gewälzt.«
»Irrtum. Ich habe überlegt, wie ich mich in den Pavillon der Grischa schleichen und mir einen süßen Korporalnik angeln kann.«
Maljen lachte. Ich blieb zögernd am Eingang stehen. Wenn ich von den tollpatschigen Turnübungen absah, zu denen er mein Herz veranlasste, war das Schlimmste, dass ich verbergen musste, wie sehr mich seine Techtelmechtel mit anderen Frauen verletzten. Noch furchtbarer fand ich die Vorstellung, dass er es bemerken könnte. Ich überlegte, gleich wieder ins Bett zu gehen, aber dann schluckte ich meine Eifersucht hinunter und setzte mich neben ihn.
»Ich hoffe, du hast mir etwas Schönes mitgebracht«, sagte ich. »Alinas Geheimtipps zur Verführung von Grischa sind nicht so billig zu haben.«
Er grinste. »Darf ich anschreiben?«
»Meinetwegen. Aber nur, weil ich weiß, dass du deine Schulden immer begleichst.«
Ich spähte ins Dunkel und sah, wie Dubrow einen Schluck aus der Flasche trank und dann ins Taumeln geriet. Michail stützte ihn. Ihr Lachen hallte durch die Nachtluft bis zu uns.
Maljen schüttelte seufzend den Kopf. »Er versucht immer, mit Michail mitzuhalten. Am Ende wird er wahrscheinlich auf meine Stiefel kotzen.«
»Geschieht dir recht«, sagte ich. »Und was tust du hier?« Vor einem Jahr, zu Beginn unseres Miltärdienstes, hatte Maljen mich fast jede Nacht besucht, aber jetzt war er schon seit Monaten nicht mehr zu meiner Unterkunft gekommen.
Er
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