Deadwood - Stadt der Särge
Jane Collins wußte genau, daß in dieser Nacht etwas passieren würde. Es gab keinen besonderen Grund für diese Annahme, auch wenn der Abend einen für sie etwas ungewöhnlichen Lauf genommen hatte, denn sie war mit John Sinclair ausgegangen. Sie hatten sich in einem netten Lokal getroffen, etwas gegessen, über gewisse Dinge gesprochen, die sie einmal gemeinsam erlebt hatten, und Jane hatte ihm auch erzählt, daß sie sich bei der Horror-Oma Sarah Goldwyn sehr wohl fühlte. Es war also ein normales Treffen unter Freunden gewesen. Jane war dann mit dem Taxi nach Hause gefahren, hatte sich ausgezogen, in ihr Bett gelegt, war eingeschlafen, wieder erwacht und wußte nun, daß etwas geschehen würde.
Sie saß im Bett und versuchte in dem dunklen Zimmer etwas zu erkennen.
Alles schien normal zu sein, und dpch spürte sie den Druck, der unterschwellig auf ihrer Seele lastete und das Gefühl der Angst in ihr hochtrieb. Es war wirklich nicht warm in dem Zimmer, doch sie schwitzte trotzdem.
Jane saß im Bett und lauschte inl die Finsternis. Im Haus selbst war alles ruhig. Sarah Goldwyn schlief einige Räume weiter. Die alte Dame hatte einen gesunden Schlaf. Sie ging stets früh zu Bett und stand leider ebenso früh wieder auf.
Jane ignorierte diese Warnung keineswegs. Sie, die ehemalige Hexe, wußte mehr als die meisten Menschen. Sie kannte Dinge, vor denen andere sich fürchteten oder sie nicht einmal auszusprechen wagten. Jane wußte über fremde Welten und Dimensionen Bescheid und hatte selbst die schrecklichsten Erlebnisse hinter sich. Erst in letzter Zeit war sie etwas zur Ruhe gekommen, dank Sarah Goldwyn, bei der Jane Collins wohnte.
Die Warnung traf sie nicht unvorbereitet, aber doch ein wenig überraschend, und sie wollte diesem Phänomen auch auf den Grund gehen. Deshalb schwang sie die Beine aus dem Bett, schlüpfte in die flauschigen Hausschuhe und griff zum dünnen Morgenmantel, der über der Stuhllehne hing. Erst als sie das Kleidungsstück übergestreift hatte, begab sie sich zum Fenster.
Jane hatte sich für das rechte der beiden Fenster entschieden. Wenn sie durch die Scheiben blickte, konnte sie den Vorgarten übersehen und auch bis zur Straße schauen, wo noch die alten Bäume wuchsen, deren herbstlich gefärbte Blätter tagsüber fast so ähnlich leuchteten wie das Licht der Straßenlaternen.
Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es war die Geisterstunde, Mitternacht war gerade vorbei. Jane wußte aus Erfahrung, daß man diese ersten 60 Minuten eines Tages nicht umsonst so bezeichnet hatte. Im Garten war es ruhig. Hin und wieder strich ein Windzug über das kleine Gelände und spielte mit dem Blattwerk der Büsche. Einige nur noch lose hängenden Blätter fielen auch ab und bedeckten das noch satt wirkende Grün des Rasens. Ein normaler Mensch hätte sich möglicherweise mit diesem einen Blick zufrieden gegeben, aber keine Jane Collins. Nicht daß sie unnormal gewesen wäre, doch das warnende Gefühl hatte sie auf keinen Fall vergessen oder verdrängt. Ein Wagen rollte am Haus vorbei. Zuerst erschien der Lichtteppich und strich geisterhaft über den Asphalt der Straße. Den Heckleuchten schaute Jane noch hinterher. Sie erinnerten sie an eckige, blutgefüllte Glotzer.
Ruhe kehrte ein.
Jane wollte es genau wissen und öffnete das Fenster. Sie schlief in der ersten Etage des Hauses.
Wind strich in ihr Haar, als wollte er es kämmen. Weiter entfernt, bestimmt schon nahe der Kreuzung, vernahm sie die Stimme eines Mannes. Was er sagte, war nicht zu verstehen. Es mußte etwas Witziges gewesen sein, denn eine Frau begann zu lachen. Abermals legte sich die nächtliche Ruhe über die Straße. Jane schaute noch immer aus dem Fenster. Mittlerweile wurde ihr doch kühl. Sie schalt sich schon eine Närrin, als sie die Schritte hörte. Nächtliche Schritte waren nichts Unnormales. Im Zusammenhang mit der erhaltenen Warnung jedoch sah Jane die Dinge ganz anders. Zudem störte sie der Rhythmus der Geräusche.
Wenn jemand normal geht, hört man es an der Regelmäßigkeit der Schritte. In dieser Stunde war es anders. Der Unbekannte, der auf das Haus zulief, zog ein Bein nach. Das Laufen bereitete ihm große Mühe. Plötzlich spürte sie die Kühle der Nacht nicht mehr. Spannung hielt sie erfaßt und sorgte auch für eine innerliche Wärme. Sie wollte genau wissen, welche Person an diesem Haus vorbeiging, denn sie rechnete damit, daß deren Auftauchen mit der Warnung zusammenhing, die ihr Unterbewußtsein gemeldet
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