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Größenwahn

Größenwahn

Titel: Größenwahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
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ihr diese Worte kicherte. Auch sie schritt stattlich in ihr keusches Schlafgemach. Dort zündete sie, sich entkleidend, eine Kerze an. Dabei fiel ihr Blick auf eine danebenliegende, frische, noch von keiner Gluth um ihre Jungfräulichkeit betrogene Kerze. Sie ergriff sie und betrachtete sie mit eigenthümlichen Gefühlen, als wäre sie ein Symbol des menschlichen Lebens. Ihr Busen hob sich in ungestümer Wallung. Ja, diese geräumige Hülle eines weiten Herzens zu füllen, diesen gähnenden Spalt, diese klaffende Lücke der Schöpfung – –
    Mit einem leisen Stöhnen bestieg sie ihr schwellendes Pfühl.
     

 
    »So, weiter kam ich noch nicht!« lächelte der gräfliche Dichter ganz unbefangen und klappte mit zufriedener Miene sein Buch zu.
    Nach Vorlesung des seltsamen Fragments trat eine verlegene Pause ein. Hätte er es in einem deutschen Salon verlesen, so dürfte die boshaft cynische Anspielung am Schluß ihm einen moralischen Hinauswurf eingetragen haben. Die englischen Damen verstanden jedoch nur den allgemeinen Sinn, und selbst Lady Dorrington, welcher die Unanständigkeit einzelner Wendungen nicht entging, hielt das Ende mehr für albern als brutal. Die beiden Frauen sahen sich etwas betreten an, Miß Egremont sah in ihren Schoß. Der Lord hingegen schneuzte sich heftig und verrieth hinter dem Taschentuch convulsivische Zuckungen. Auf einen verwunderten Blick seiner Gattin stellte er jedoch die Taschentuch-Experimente ein und äußerte mit etwas unsicherer Stimme – er war sehr roth im Gesicht und schnitt eine unnatürlich ernste Grimasse, indem er sich behaglich die Hände rieb: »Hm, nicht übel als Debut. Vieles schien mir unverständlich. Nein, nein, lieber Freund, das ist doch nichts für unsre Damen. Wir hatten etwas Poetischeres von Ihnen erwartet. Und –« hier prustete er plötzlich wieder los und nahm sein Taschentuch zu Hülfe. Krastinik deutete kurz an, daß er mit der Philosophen-Gattin und dem Ausländer Thibaut schlimme Dinge vorhabe.
     

Fußnoten
     
    1 Bürgermeister.
     
     

III.
    Bei Egremonts war Diner, an das sich später ein kleiner Rout anschloß. Krastinik begrüßte unter den Geladenen seinen Bekannten von jenem herzoglichen Schreckensball, Sir. Thomas de Mowbray. Nach Tisch beim Thee trieb man hohe Politik.
    »Glauben Sie an den Krieg zwischen Frankreich und Deutschland?« fragte Mr. Egremont, indem er Krastinik eine Shilling-Havanna huldvoll überreichte.
    »Zweifellos. Die beiden großen Maschinen heizen sich innerlich so lange, bis sie plötzlich mit voller Dampfkraft aufeinanderprallen. Die daran zweifeln, gleichen dem Vogel Strauß, der den Kopf in den Sand steckt, um sich dem Feind zu verbergen.«
    »Ich hoffe,« Sir Thomas de Mowbray reckte sich, »daß diese Preußen nicht wieder die armen Franzosen so unvorbereitet überfallen werden. Wodurch haben sie gesiegt? Nur durch ihre kolossale Uebermacht und ihr überlegenes Gewehr, wie ich noch kürzlich in der Broschüre eines französischen Artilleriecapitäns las.«
    »Erlauben Sie,« sagte Krastinik ruhig. »Auch ich habe jenes thörichte Machwerk verdaut. Wenn der Verfasser wirklich den großen Krieg mitgemacht hat, so mag es um die militärische und sonstige Bildung des französischen Offiziercorps übel bestellt sein. Wenn er, von seinem eigenen Unsinn betäubt,
bona fide
seine lügenhasten Albernheiten ausstreut, so muß die Masse des französischen Volkes doch derlei Ungeheuerlichkeiten erst recht für baare Münze nehmen.«
    »Ah, ich wußte nicht, Sir,« wunderte sich der englische Kamerad, »daß Sie ein Bewunderer der Preußen seien. Sie nennen es lügenhafte Albernheiten, –«
    »Wenn der Herr Artilleriecapitän am Fieberdelirium der Spionenriecherei leidet, wenn er von überlegenem Gewehr fabelt – obschon doch selbst jeder Boulevardier wissen müßte, wie sehr grade das Chassepot dem Zündnadelgewehr überlegen war –, wenn er von der unvollkommenen kriegerischen Natur der Deutschen redet und erzählt, daß diese jedesmal die Flucht ergriffen, sobald man sich Mann an Mann mit ihnen kreuzte! Warum? Nun, ›weil wir tapfrer sind als sie,‹ wie dieser Bramarbas prahlt. Die Deutschen können nur wünschen, daß man die Rathschläge solcher Broschüren befolgt: Das Losstürmen auf die kaltklütigen Nordländer, um sie mit dem Bajonett zu werfen, und besonders die Massen-Bajonettattacken bei Nacht werden gewiß zu empfehlen sein. So mag man den Heeren Moltkes nur mit Lachen entgegentreten, wie die

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