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Gromek - Die Moral des Toetens

Gromek - Die Moral des Toetens

Titel: Gromek - Die Moral des Toetens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Lutz
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einen schmalschulterigen
Endvierziger, halb im Schatten, der nur mit einem zu kurzen Handtuch und Socken
bekleidet war und ihn mit von der Helligkeit des Ganges geblendeten Augen an spähte.
Eine glockenhelle Frauenstimme flötete aus dem Dunkel:
    »Ich habe nichts gehört, Liebling. Komm doch wieder ins Bett!«
    Gromek, in Gedanken bei seinem Auftrag, konnte sich trotzdem einen
Kommentar nicht verkneifen. Aufmunternd nickte er dem Casanova zu:
    »Na, wie steht die Sache? Kann ich behilflich sein?«
    Zur Antwort flog die Tür ins Schloss, und ein Riegel wurde zweimal
barsch herumgedreht.
     
    Als Gromek aus dem Sheraton trat, schaute der Portier
gerade auf seine Armbanduhr. Der Kollege für die nächste Schicht war überfällig.
    Michael Gromek stieg in seinen Wagen, startete und reihte sich in
den lebhaften Verkehr ein, der sich zu mitternächtlicher Zeit über den Berliner
Kurfürstendamm wälzte.
    Alexander Holtz ging ihm nicht aus dem Kopf.
    Gromek kannte ihn schon seit ewigen Zeiten. Er erinnerte sich, als
ob es gestern gewesen wäre:
    Es war in München gewesen, im September 1972, bei den XX.
Olympischen Sommerspielen, als sich der damalige Polizei-Scharfschütze Karl
Schmidt-Weinhäuser - dieser Name klang inzwischen fremd für Gromek - und der
mit der Ausbildung zum Polizei-Wachtmeister gerade fertig gewordene Michael
Gromek, der in wenigen Tagen seinen Eid auf die Verfassung der Bundesrepublik
Deutschland leisten sollte, das erste Mal über den Weg liefen.
    Später sprach man nur noch vom ›Schwarzen September‹. Eine Gruppe
von acht jungen, arabischen Terroristen hatte am frühen Morgen im Olympiadorf
neun israelische Sportler in ihrem Quartier als Geiseln genommen und zwei
weitere Israelis mit Maschinenpistolen erschossen. Die Freischärler forderten
die Entlassung von 200 in Israel inhaftierten arabischen Gefangenen.
    Da die israelische Regierung eine Freilassung der Gefangenen
ablehnte und die Terroristen bei ihrer Forderung blieben, noch nicht einmal
eine Lösegeldsumme haben und sich lediglich mit einem Flug nach Ägypten
einverstanden erklären wollten, standen die Zeichen früh auf Konfrontation.
    Am Abend wurden die Terroristen und die neun Geiseln schließlich
mit zwei Hubschraubern zu dem nahegelegenen Militärflughafen Fürstenfeldbruck
ausgeflogen, wo eine Lufthansa -Boeing 727 wartete, die lediglich mit
Treibstoff für 400 Kilometer betankt worden war.
    Die Katastrophe nahm ihren Lauf, als Schmidt-Weinhäuser mit nur
vier Scharfschützen-Kollegen und ohne Nachtsichtgeräte das Feuer auf vier
Terroristen eröffnete, die sich auf dem Rollfeld befanden. Es gelang ihnen in
dem Feuergefecht nicht, alle acht Terroristen gleichzeitig zu liquidieren.
Zudem verloren Schmidt-Weinhäuser und die anderen Scharfschützen zeitweilig den
Funkkontakt zur Einsatzzentrale im Tower des Flughafens.
    Über eine Stunde später stieg einer von den noch lebenden Terroristen
aus einem der zwei Hubschrauber aus, zündete ohne Rücksicht auf das eigene
Leben eine Handgranate und warf sie zurück in die Kanzel des Helikopters, wo
sie nur Sekunden später explodierte. Der zweite Hubschrauber fing daraufhin
Feuer und brannte vollständig aus. Die Hubschrauber wurden zu Gräbern, in denen
die gefesselten israelischen Geiseln verbrannten, sofern sie nicht schon durch
die Explosion der Handgranate getötet worden waren.
    Die Bilanz des Massakers waren elf tote Israelis, ein erschossener
deutscher Polizist und sechs getötete Araber.
    Eine Woche später sollte Manfred Schreiber, der für den Einsatz
der deutschen Beamten verantwortliche Polizeipräsident von München, in einem Spiegel -Interview
verkünden, dass die Befreiungsaktion von Fürstenfeldbruck von vornherein
aussichtslos gewesen sei. Im selben Atemzug erklärte er eine Eliteeinheit für
derartige Vorkommnisse mangels Häufigkeit für nicht notwendig.
    An dem Tag nach dem Massaker hatte Gromek nicht nur die Freude an
den Olympischen Spielen verloren und sich darüber geärgert, dass viele seiner
Kollegen dem Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Ungarn
entgegenfieberten, als hätte sich das Attentat nie ereignet. Er hatte auch den
Entschluss gefasst, in seinem Beruf etwas Außergewöhnliches zu leisten, das
unbedingt über den normalen Dienstalltag hinausgehen sollte.
    Was Michael Gromek seinerzeit noch nicht ahnen konnte: Der
damalige Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, der vom Tower aus
Augenzeuge des Olympia-Massakers von Fürstenfeldbruck

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