Gromek - Die Moral des Toetens
nicht nach so
langer Zeit! Und nicht nach dem, ... was damals passiert ist!« Sie hatte doch
sein Wort! Das Wort von Herrmann von Eckersdorff - vom Direktor persönlich -
ausgesprochen direkt im Anschluss an die Trauerfeier, dass man ihren Wunsch
nach Rückstufung verstehe und akzeptiere - dass Rendezvous-Aufträge für sie
ein für allemal vom Tisch seien. Ein für allemal! Warum also dieser Wortbruch?
Der erste Schock ließ langsam nach, und im Chaos ihrer Gefühle
trieben Lisas Gedanken zurück in eine Zeit, lange bevor sie Daniel und Julia
geboren hatte. Die Zeit, als sie ihren ersten Mann kennengelernt und ein völlig
anderes Leben geführt hatte. Ein in jeder Hinsicht anderes Leben.
Es war in Israel gewesen, in dem geheimen Wüsten-Trainingscamp Ze'elim-B des israelischen Geheimdienstes Mossad , rund 80 Kilometer südlich von
Tel Aviv entfernt in der Negev-Wüste. Lisa war einige Wochen zuvor im Zuge
ihrer Nahkampfausbildung mit und ohne Waffen in das Lager gekommen, welches
jahrhundertelang den Beduinen als Karawanserei gedient hatte. Sie feierte
gerade mit der deutschen Gruppe, die aus Angehörigen der Bundeswehr und
baden-württembergischen SEK-Beamten bestand, ihren 22. Geburtstag, als David
Rosenberg in das deutsche Zelt trat und sie in seiner Eigenschaft als ihnen
zugeteilter Betreuer nach draußen bat. Es war Liebe auf den ersten Blick. Schon
von Anfang an war Lisa klar gewesen, dass der schweigsame, dunkelhaarige David
ein Auge auf sie geworfen hatte. Und zum ersten Mal waren sie allein.
Als sie aus dem Zelt traten, war es draußen schon dunkel. Aus Geheimhaltungsgründen
brannte nirgends Licht, kein noch so kleines Lagerfeuer züngelte mehr. Der von
der glühenden Tageshitze noch nicht vollständig wieder abgekühlte Sand wärmte
ihre Schuhsohlen, während die Abendluft bereits kühl über ihre Gesichter strich.
Obwohl es streng verboten war, führte David das Geburtstagskind
aus dem Lager, an einem der Wachttürme vorbei, dessen Besatzung er
wahrscheinlich teuer mit einigen hundert Schekel bestochen hatte, und etwa
einen Kilometer weit in die dünendurchzogene Wüste hinein. Es störte Lisa nicht
im Geringsten, dass er bei ihrem ersten Rendezvous, auf das sie insgeheim vom
Tag ihrer Ankunft an gehofft hatte, eine durchgeladene Maschinenpistole bei
sich trug und diese bei jedem Schritt an seine Seite klapperte.
Die Ruhe, ja Geräuschlosigkeit der Wüste hatte sie als geradezu
überwältigend empfunden, daran erinnerte sie sich noch. In den drei Wochen, die
sie dort verbracht hatte, um gemeinsam mit den anderen Beamten der
Sondereinsatzkommandos ihre Lektionen in Anti-Terror-Taktiken zu erhalten, war
ihr die Wüste wie ein riesiger, staubiger Freilufttrainingsplatz vorgekommen.
Jetzt nahm sie zum ersten Mal die Schönheit der Gegend wahr. Lisa schaute zum
Nachthimmel empor. Das einzige Licht, das sie erblicken konnte, war das der
Sterne und des abnehmenden Mondes.
Als ob es gestern gewesen wäre, erinnerte sie sich an einen blöden
Gedanken, der sich in ihrem Kopf festgesetzt hatte und nicht mehr verschwinden
wollte. In dieser Stunde, die sie und David dort draußen verbrachten, fragte
sie sich die ganze Zeit, ob nicht gleich hinter der nächsten Düne die heiligen
drei Könige auftauchen und gen Bethlehem ziehen müssten. Sie hatte diese dumme
Idee einfach nicht aus dem Kopf bekommen. Erst als sie mit David, die Maschinenpistole
griffbereit neben sich, in den warmen Wüstensand gesunken war.
Vier Wochen später musste Lisa nach Deutschland zurückkehren,
David nach Tel Aviv. Eine gemeinsame Zukunft stand aufgrund der Abhängigkeit
von ihren jeweiligen Einsatzorten zunächst nicht in Aussicht. Doch David, der
als aktiver Agent ohnehin für einen längeren Auslandsaufenthalt vorgesehen war,
gelang es, kurzfristig als Verbindungsmann zwischen den deutschen
Geheimdiensten und dem Mossad nach Bonn versetzt zu werden, getarnt als
Kulturattaché in der israelischen Vertretung. Das Unmögliche war Wirklichkeit
geworden! Keine vier Monate nach der Nacht in der Wüste fand ihre
standesamtliche Heirat statt.
Ein halbes Jahr darauf war Davids Schwester Sharon zu Besuch in
Bonn. Ein Grund zum Feiern. Zusammen mit zwei weiteren Botschaftsangehörigen
machten sich Lisa, David und seine Schwester auf den Weg in ein Restaurant in
der Innenstadt. David hatte noch nie Sauerbraten mit Honigkuchen in der Soße
gegessen, was er an diesem Abend nachholen wollte.
Das Kommando, dessen Auftraggeber Lisa niemals
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