Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 1 (German Edition)
Zechgelage darstellte, zu dem der Reihe nach eingeladen wurde – und der nicht mehr junge, ja gebrechlich werdende Magister musste jedes Mal mithalten. Jedes Mal . Und wahrscheinlich nicht nur mit Bier, sondern auch mit Schnappes. Wie sollte Magister Brady das durchhalten? Und wenn nicht … würden sie beide kurzerhand auf die Straße gesetzt und durften beim Pferd im Stall schlafen.
»Dürfen wir uns wenigstens abwechseln?«, zischte Kobbi dem Gelehrten zu.
»Ich schaffe das schon, Junge«, raunte Brady. »In meiner Jugend habe ich ordentlich mithalten können, da hat mir keiner so schnell etwas vorgemacht. Ich war nicht immer so ein vertrockneter Knochen wie jetzt.«
»Aber Ihr seid nicht mehr jung!«, entfuhr es Kobbi, und er zog den Kopf ein. »Ist doch wahr, bei allem nötigen Respekt.«
»Lass mich nur machen! Das Bier ist süffig, der Schnappes wärmt meine alten Knochen, und ich fühle mich bereits zehn Jahre jünger.« Magister Brady wirkte recht vergnügt, seine hageren Wangen und seine Nasenspitze nahmen einen rosigen Schimmer an. Kobbi hatte keine Wahl. Er musste nachgeben.
Die Runde wurde mit der Zeit sehr heiter. Man sang Lieder, erzählte sich haarsträubendes Abenteuergarn, das keiner von ihnen je gestrickt haben konnte. Und die pikanten Details diverser amouröser Begebenheiten hatten sie schon gar nicht erlebt. Die anwesenden Frauen amüsierten sich königlich darüber und hatten jede Menge Anmerkungen dazu parat; Kobbi trieb es die Schamröte ins Gesicht.
Er fuhr zusammen, als sich plötzlich jemand dicht neben ihn setzte. Ein blonder junger Mann, etwa im gleichen Alter wie der Bogin. Er hielt den unvermeidlichen Krug in der Hand, und aus seinem Mund wehte eine enorme Fahne.
»So!«, sagte er. »Und was bist du für einer?«
»Ich bin ein Bogin«, antwortete Kobbi wahrheitsgetreu, weil er gar nicht anders konnte.
Blaue Augen musterten ihn kühl, wenn nicht abfällig. »Halbling!« , zischte der Zecher.
»So nennt man uns. Wir gehören zu den Kleinen Völkern.« Kobbi war leicht ungehalten; Trunkenheit hin oder her, das war noch lange kein Grund, unhöflich zu sein.
Doch der Bursche setzte noch einen drauf. »Bucca!« , beschimpfte er den Bogin.
Aufgeblasene Backe. So war das also. Und nur deshalb, weil alle Bogins über rosige Wangen verfügten, ein Zeichen ihrer strotzenden Gesundheit. Und genau deswegen wurden sie beschimpft.
Kobbi schoss die Röte ins Gesicht wie nie zuvor und unterstrich damit noch die Beleidigung.
Der Blonde schlug sich johlend auf die Schenkel. »Feist und rosig wie ein blank geputztes Schwein!«
Was sollte er darauf erwidern? Er war viel kleiner als der kräftig gebaute junge Bauersmann. Kobbi hatte noch nie in seinem Leben schwer auf dem Felde gearbeitet oder gar Holz gehackt. Seine Kräfte hielten sich in engen Grenzen. Bogins waren zudem freundliche, friedliche und sanfte Geschöpfe, die das Leben lieber genossen, anstatt Streit zu suchen.
Kobbi saß zitternd da, zornig über die Schmach, zornig auf sich, weil er sie sich gefallen ließ, und zornig auf seinen Meister, der ihn nicht verteidigte. Aber Magister Brady war damit beschäftigt, einen Vortrag über korrektes Mälzen zu halten.
Schwer atmend fand der Bogin zu keiner Entscheidung. Er hob den Blick und starrte dem Menschen aus vorwurfsvollen dunklen Augen ins Gesicht.
Der Bursche grinste, trank und wischte sich den Schaum von den Lippen. Sein Gesicht war glatt rasiert, und eigentlich sah er überraschend gut aus, fand Kobbi. So männlich-markant, wie ein Bogin nie aussehen könnte. Das könnte Kobbi ändern, wenn er dem frechen Kerl jetzt sofort seinen Bierkrug mitten auf die Nase pflanzte.
Der junge Bauersmann erkannte seine Gedanken und grinste noch breiter. »Nur zu, Bucca! Versuch dein Glück.«
Kobbi bewegte langsam verneinend den Kopf, ohne den Blick von ihm zu nehmen. Das würde ein Bogin niemals tun – Gewalt gegen einen anderen anwenden. Überhaupt verabscheuten sie Gewalt. Sie zogen und nährten Pflanzen und Tiere, sie halfen Dingen, zu wachsen und zu gedeihen. Sie zerstörten nicht.
»Du bist ein Feigling!«
Kobbi hatte sich wieder in der Gewalt. Zum zweiten Mal schüttelte er den Kopf. Diese Menschen begriffen den Unterschied einfach nicht. »Ich bin nicht wie du«, sagte er langsam.
»Das ist wohl wahr.« Plötzlich sprang der blonde Mann auf und packte Kobbi am Arm. »Komm mit, ich zeige dir was.«
Der Bogin wollte sich wehren, doch gegen diese Bärenkräfte kam er nicht an.
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