Große Geschichten vom kleinen Volk - Band 2 (German Edition)
Wort mehr zu ihm. Urna begleitete ihren Ziehsohn dagegen bis vor die Tür. Auf der wackligen Treppe angekommen, die zum Strand hinunterführte, presste sie ihn zum Abschied fest an ihre wogenden Brüste. Der Halbling hasste es normalerweise, wenn ihn Menschen zu sich in die Höhe hoben, aber in diesem Fall ließ er es klaglos über sich ergehen.
»Alles Gute, Helbrecht!«, sagte Urna unter leisem Schluchzen.
Es war das letzte Mal, dass ihn irgendjemand bei diesem Namen nannte. Als der Halbling – ohne sich noch ein einziges Mal umzudrehen – über den Strand davoneilte, hieß er fortan für sich selbst und alle anderen nur noch Bero.
Das Schiff der Elben war schon von weitem zu sehen. Trotz seiner imposanten Größe gab es keine weitere Besatzung an Bord. Elra, Nemru und Meron verstanden es tatsächlich, die Segel zu beherrschen. Geschickt die einsetzende Ebbe nutzend, fuhren sie mit der Strömung aufs Meer hinaus und segelten die Küste entlang.
Bero, der bisher nur die Planken kleiner Fischerboote kannte, nahm begeistert die neuen Eindrücke in sich auf, anstatt sich an der Schweigsamkeit der Elben zu stören. Nachdem er sich einen Platz auf einer Seilrolle gesucht hatte, der es ihm erlaubte, über die Reling hinwegzusehen, beobachtete er zufrieden, wie die Felsküste und andere Boote an ihnen vorüberzogen. So verstrich Tag um Tag. Gedanken an das hinter ihm liegende Leben kamen nur in den Nächten auf, in denen sie vor Anker lagen.
Meistens stellte er sich dabei vor, wie sehr es Orm schmerzte, von nun an für einen Schankknecht zu bezahlen, oder wie die Schankstube im Laufe der nächsten Monate verwaiste, weil es keinen Halbling mehr zu bestaunen und zu foppen gab. Heimweh spürte Bero dagegen nur nach den grünen Auen, die er bloß aus seinen Träumen kannte.
Das Einzige, das ihm in diesen Tagen Sorgen bereitete, war die Geschwindigkeit, mit der sich sein Lederbeutel leerte. Während die Elben kaum etwas zu sich nahmen, machte die frische Seeluft den Halbling so hungrig, das seine Wegzehrung rasch dahinschmolz und schon am zweiten Tag auf einen traurigen Wurstzipfel zusammengeschrumpft war. Erst nachdem Elra eines ihrer kleinen Brote mit ihm teilte, begriff er, warum seine Reisegefährten mit so wenig Proviant auskamen.
Schon wenige Bissen des Elbenbrotes reichten aus, um seinen ewig knurrenden Magen satt zu bekommen. Trotzdem freute sich Bero, als sie am Mittag des fünften Tages Leru anliefen, eine in steile Felsen gebaute Hafenstadt, die er bisher nur vom Hörensagen kannte. Die Verhandlungen mit den dortigen Hafenwachen dauerten eine Weile, aber schließlich durften sie das Schiff verlassen, obwohl keinerlei Handelswaren an Bord waren, auf die sich Einfuhrzölle erheben ließen.
Während Nemru und Meonis in den engen Gassen des Hafenviertels verschwanden, um Erkundigungen einzuziehen, begleitete Elra den Halbling in die Hafenmeisterei. Dort trafen sie auf einen mürrischen Zöllner, der sich sehr geschäftig gab, aber unter dem strengen Blick der Elbin zunehmend nervöser und gesprächiger wurde. Ein paar glänzende Münzen halfen zusätzlich dabei, die Zunge des Stadtbüttels zu lösen. Bero wusste zunächst nicht, was seine Begleiterin mit diesem Besuch bezweckte. Trotzdem nahm er auf ihre Bitte hin seinen Anhänger vom Hals und händigte ihn dem fülligen Mann in der rot-blauen Uniform aus.
»Grüner Marmor«, bemerkte der Zöllner sogleich mit Kennerblick. »Äußerst selten.« Eine Reihe unverständlicher Grunzlaute ausstoßend, strich er über die polierte Oberfläche, ließ sie mehrmals durch die Finger wandern und hob das runde Mittelloch schließlich so nahe ans Gesicht, als wolle er es sich vor das rechte Auge klemmen. »Aha!«, stieß er hervor, als er endlich dabei die Schriftzeichen auf der Rückseite entdeckte. »Das stammt aus Übersee, wie ich es mir dachte! Aus einem Steinbruch im Auenland würde ich sagen, aus Grubtal, um genau zu sein.« Zufrieden stützte er sich mit beiden Händen auf dem Tisch ab und ließ dabei den Anhänger in seiner fleischigen Rechten verschwinden. »Gerade das macht diesen Marmor ja so selten«, erklärte er dabei. »Halblinge sind sehr erdverbunden, müsst Ihr wissen. Sie reisen nur sehr ungern, selbst wenn es etwas zu verdienen gibt. Vor allem, wenn es über das große Meer geht. Der da ist der erste, den ich seit über zwanzig Jahren zu Gesicht bekomme.«
Bero missfiel es, dass der Kerl über ihn redete, als wäre er gar nicht anwesend. Noch weniger
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