Große Tiere: Roman (German Edition)
»Ich denke, den Rest überlasse ich ihrer Phantasie.«
»Nein«, sagte Winder. »Bei einer solchen Metapher brauchst du einen Superschluß.« Er schlug nach einem Moskito, der sich durch den glänzenden Film Cutter’s Salbe in seinem Nacken hindurchgearbeitet hatte. »Wie wäre es damit: Wir rollen bergab, völlig außer Kontrolle, schneller und immer wilder und heißer. Ich schreie dich an, hör auf, aber du pumpst und pumpst, bis ich explodiere und auf dir zerfließe.«
Von irgendwoher – aus ihrem Büstenhalter? – zauberte Nina einen Kugelschreiber hervor und begann zu schreiben. »Diese Pum p erei ist ein bißchen stark«, sa g te sie, »aber dieses Zerfließen gefällt mir. Ein gutes Bild, Joe, danke.«
»Nichts zu danken.«
»Miriam schreibt gerade an einer neuen Blasnummer im Whirlpool.«
»Nicht schon wieder«, sagte Joe Winder.
»Sie meint, es würde eine Serie.« Nina faltete den Notizzettel wieder zusammen und verstaute ihn in ihrer Hemdtasche. »Ich komme noch zu spät zur Arbeit, wenn ich mich jetzt nicht beeile. Kommst du mit?«
»Nein, dort draußen, wo es tiefer wird, steht noch ein Schwarm. Ich versuche mal, ob ich es schaffe, ihnen den Köder nicht direkt auf den Kopf zu schmeißen.«
Nina wünschte ihm viel Glück und watete zurück zum Ufer. Auf halbem Weg drehte sie sich um und sagte: »Mein Gott, beinahe hätte ich es vergessen. Ich hab zu Hause einen Anruf für dich angenommen.«
Winder schloß den Fangbügel an seiner Spinnrolle und klemmte die Angelrute in die Armbeuge. »War es Koocher?« fragte er über das Wasser hinweg.
Nina schüttelte den Kopf. »Es war eine andere Stimme als das letzte Mal.« Sie machte ein halbes Dutzend platschender Schritte auf ihn zu, damit sie nicht so laut schreien mußte. »Aber ich sollte dir etwas bestellen. Der Typ sagte, er sei Dr. Koocher, nur war er es nicht. Es war eine andere Stimme als vorher.«
Joe Winder fragte: »Bist du dir sicher?«
»Das ist mein Job, Joe. Das tu ich fast die ganze Nacht, erwachsenen Männern zuhören, wie sie lügen.«
»Was genau hat er gesagt, Nina? Der Typ, der angerufen hat. Außer, daß er Koocher ist.«
»Er hat gesagt, im Park bräche bald die Hölle los.«
»Die Hölle«, wiederholte Winder.
»Und er hat gesagt, daß er dich heute abend an der Card-Sound-Brücke erwartet.«
»Wann?«
»Genau um Mitternacht.« Nina verlagerte ihr Gewicht von einem Bein auf das andere und brachte das Wasser zum Kräuseln. »Du gehst aber nicht hin«, sagte sie. »Bitte.«
Joe Winder schaute über die Wasserfläche, völlig leblos im dunkelroten Schein der Dämmerung. »Keine Spur von den Fischen«, sagte er. »Ich glaube, die Flut ist offiziell vorbei.«
8
Bud Schwartz brauchte seine Augen nicht aufzumachen, um zu wissen, wo er war; Jasminduft attackierte seine Schleimhäute. Er befand sich in Molly McNamaras Wohnung und lag auf dem Wohnzimmersofa. Er konnte ihren Blick körperlich spüren, starr, ohne zu blinzeln, wie bei einer ausgestopften Eule.
»Ich weiß, daß du wach bist«, sagte sie.
Er entschied, daß er seine Augen noch nicht sofort öffnen wollte.
»Mein Sohn, ich weiß, daß du da bist.«
Es war der gleiche Ton, den sie angeschlagen hatte, als sie sich zum erstenmal getroffen hatten, an einem der Tiefpunkte in Bud Schwartz’ Einbrecherlaufbahn; er war verhaftet worden, nachdem sein 1979er Chrysler Cordoba mitten auf der 163. Straße stehengeblieben war, weniger als einen Block von dem Duplex-Apartment entfernt, das er soeben mit seinem neuen Partner, Danny Pogue, ausgeräumt hatte. Das Opfer des Verbrechens fuhr gerade nach Hause, als er den liegengebliebenen Wagen sah, hielt an, um seine Hilfe anzubieten, und erkannte sofort den Sony-Fernseher, das Panasonic-Uhrenradio, den Amana-Mikrowellenherd und den Tandy-Laptop-Computer, welche ordentlich auf dem Rücksitz des Cordoba aufgestapelt waren. Die Sachen lagen deshalb auf dem Rücksitz, weil der Kofferraumdeckel klemmte.
Bud Schwartz hatte in einer Untersuchungszelle des Dade County Jail geschmort, als Molly McNamara erschien. Damals arbeitete sie als freiwillige Helferin für das Jackson Memorial Hospital und die Medical School der Universität von Miami; ihr Job bestand darin, Gefängnisinsassen als Versuchskaninchen für medizinische Tests anzuwerben, eine Aufgabe, die ihrem Überredungstalent entgegenkam. Sie hatte die Zelle betreten, bekleidet mit weißen Schuhen mit Gummisohlen, einer Schwesterntracht aus Polyesterstoff und
Weitere Kostenlose Bücher