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Große Tiere

Große Tiere

Titel: Große Tiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hiaasen
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verschwunden.
    Nina begann zu lesen: »Letzte Nacht träumte ich, ich sei auf einem Sprungbrett eingeschlafen; auf dem höchsten, fünfzig Meter hoch. Es war ein heißer, schwüler Tag, daher nahm ich mein Oberteil ab und legte mich hin. Ich war so hoch oben, daß niemand mich sehen konnte, außer den Möwen. Die Sonne fühlte sich wundervoll an. Ich machte die Augen zu und glitt in den Schlafhinüber -«
    »Nicht Meter«, unterbrach Winder sie. »Meter ist als Wort nicht sexy.«
    Nina las weiter: »Als ich aufwachte, standest du über mir, nackt und von der Sonne gebräunt. Ich versuchte mich zu bewegen, konnte es aber nicht – du hattest mir mit dem Oberteil meines Bikinis die Hände am Sprungbrett festgebunden. Ich war hilflos, hatte aber zugleich Angst, mich zu wehren… wir waren so hoch oben. Aber dann knietest du zwischen meinen Beinen nieder und sagtest zu mir, ich solle keine Angst haben. Nicht lange, und ich vergaß völlig, wo wir waren…«
    »Nicht schlecht.« Joe Winder versuchte, seiner Stimme einen aufmunternden Klang zu verleihen, aber die Vorstellung, es auf einem Sprungturm zu treiben, sorgte dafür, daß sein Magen sich verkrampfte.
    Nina sagte: »Ich möchte auch noch einiges der Phantasie überlassen. Nicht so wie Miriam, sie ist einfach unmöglich. Ich nahm dich in den Mund und blies wie ein Taifun.«
    Winder gab zu, daß das wirklich furchtbar war.
    »Ich muß mir diesen Mist die ganze Nacht anhören«, sagte Nina. »Während sie sich dabei die Fußnägel schneidet!«
    »Und ich dachte schon, ich hätte Probleme.«
    Sie fragte: »War das jetzt Sarkasmus? Wenn ja, dann -«
    Der Telefonhörer wurde schwer in Joe Winders Hand. Er klemmte ihn in die Schulterbeuge und sagte: »Darf ich dir verraten, woran ich gerade gedacht habe? Ich dachte an die Verdauungssäfte im Magen eines Wals. Ich dachte, wie unglaublich stark diese Verdauungssäfte sein müssen, damit ein Wal Schwertfischschnäbel und Seehundknochen und riesige Tintenfischsäcke und ähnliches fressen kann.«
    Mit monotoner Stimme sagte Nina: »Ich muß jetzt los, Joe. Du wirst schon wieder morbide.«
    »Das glaube ich auch.«
    Das Klicken am anderen Ende schien diese Feststellung zu unterstreichen.
    Auf dem Nachhauseweg beschloß er, haltzumachen und an seinem Geheimplatz nach ein paar Meeräschen zu angeln. Er verließ die County Road 905 und gelangte zu dem vertrauten Schotterweg, der durch den Laubwald zum Mangrovenstrand führte.
    Nur war der Wald verschwunden. Die Platanen, die Mahagonibäume, die Gumbosträucher – alle vernichtet. Auch die Mangroven.
    Joe Winder stieg aus dem Wagen aus und riß die Augen auf. Der kleine Hügel war plattgewalzt; er konnte bis zum Wasser sehen. Es sah aus, als wäre hier eine Zwanzigmegatonnenbombe hochgegangen. Planierraupen hatten die toten Bäume an jeder Ecke des Geländes zu einem hohen Berg zusammengeschoben.
    Mehrere hundert Meter von Joe Winders Wagen entfernt, inmitten eines Geländes, das jetzt eine öde Tundra aufgewühlter Erde darstellte, war eine Holzbühne errichtet worden. Die Bühne war voll von Männern und Frauen, alle trotz der sommerlichen Tempe-raturen in Gesellschaftskleidung. Eine kleine Menschenschar saß auf Klappstühlen, die reihenweise vor der Bühne aufgestellt worden waren. Joe Winder konnte den blechernen Klang von »America the Beautiful« hören, das von einer High-School-Band gespielt wurde, deren einzige Tuba in der Sonne blitzte. Auf das Lied folgte spärlicher Applaus. Dann trat ein Mann hinter ein Mikrophon und begann zu sprechen, aber Joe Winder war zu weit entfernt, um hören zu können, was er sagte.
    Benommen streifte Winder seine Hose ab und zog die abgeschnittenen Jeans an. Er holte seine Fliegenrute aus dem Kofferraum des Wagens und setzte sie zusammen. Am Ende der Angelschnur befestigte er eine kleine braune Fliege aus Epoxyharz, die einen Krebs darstellen sollte. Der Schwanz der Fliege bestand aus Rehhaaren; Winder untersuchte ihn, um sich zu vergewissern, daß er buschig genug war, um Fische anzulocken.
    Dann klemmte er die Fliegenrute unter den linken Arm, setzte sein Polaroidbrille auf und marschierte über das frisch eingeebnete Gelände in Richtung Bühne. Im Augenblick ging nichts durch seinen Kopf, das irgendeiner Logik gehorchte.
    Der Mann hinter dem Mikrophon entpuppte sich als der Bürgermeister von Monroe County, Florida. Es war im wesentlichen ein reiner Ehrentitel, der in ungeraden Jahren von einem County Commissioner zum nächsten

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