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Große Tiere

Große Tiere

Titel: Große Tiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hiaasen
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Worten umzugehen.«
    Winder stöhnte traurig. »Haben Sie jemals ein einziges Wort gelesen, das ich geschrieben habe?«
    »Nein«, gab sie zu.
    »Demnach ist meine angebliche Begabung -«
    »Solange das Gegenteil nicht feststeht«, sagte sie. »Tatsache ist, mit einer Pistole sind Sie mir nicht geheuer. Und jetzt helfen Sie mir endlich und machen Sie die Weinflasche auf.«
     
    Jeden Abend um Punkt neun versammelten sich die Besucher des Wunderlands der Abenteuer auf beiden Seiten der Kingsbury Lane, der Hauptstraße des Vergnügungsparks, um völlig überteuertes Junkfood zu kaufen und auf den fröhlichen Umzug zu warten, der den Höhepunkt jedes Tages darstellte. Sämtliche Darsteller des Wunderlands nahmen daran teil, von den Revolvermännern der Westernshow über die Delphintrainer bis hin zu den Elfen und Kobolden. Manchmal marschierte sogar eine Blaskapelle im Zug mit, doch während der ruhigen Sommermonate kam die Musik gewöhnlich vom Band und drang durch die Abfallschächte nach draußen. Zehn bunt geschmückte Festwagen bildeten den Kern der Prozession, obwohl technische Probleme die Anzahl der Wagen häufig halbierten. Sie waren in der chronologischen Folge einer Geschichte angeordnet, die sich lose an der Besiedlung Floridas orientierte und bis zu den Spaniern zurückreichte. Die Plünderungen, der Völkermord, die Entlaubung und ständige Vergewaltigung, welche die Vergangenheit der Halbinsel bezeichneten, waren aus Rücksicht auf Francis X. Kingsburys jüngere, leichter zu beeindruckende Kunden weggelassen worden; außerdem hätte man Schwierigkeiten gehabt, eine zur Massenverstümmelung französischer Hugenotten passende musikalische Begleitung zu finden.
    Um die allgemein ausgelassene Stimmung nicht zu trüben, war die schmutzige Geschichte Floridas zu einer Serie von netten und unblutigen Begegnungen zusammengefaßt worden. Motivwagen feierten gefälschte historische Meilensteine, wie das erste große Thanksgiving am Atlantik, bei dem freundliche Siedler und friedliche Tequesta-Indianer sich unter den Palmen gemeinsam an wildem Truthahn und frischer Kokosmilch labten. Es war Charles Chelseas Phantasie (und seiner tödlichen Angst vor Kingsbury) zu verdanken, daß sogar die schändlichsten Episoden neu erzählt und mit einem positiven geschäftsfördernden Dreh versehen wurden. Ein Festwagen mit dem Titel »Wanderarbeiter unterwegs« war mit einem Dutzend fröhlicher, gesunder Erntehelfer, die ein jamaikanisches Volkslied sangen und macheteschwingend in einem exakt einstudierten Breakdance durch ein Zuckerrohrfeld hüpften. Die Touristen liebten das. Desgleichen die Okeechobee Sugar Federation, die die Produktion finanziert hatte, um ihr Image zu verbessern.
    Eine der Attraktionen des Umzugs war die Ankunft des »sagenumwobenen Seminolenmädchens«, bekannt als Prinzessin Goldene Sonne. Eine solche Frau und eine solche Sage hatte es niemals gegeben; Charles Chelsea hatte sie eigentlich als Vorwand erfunden, um ein bißchen Arsch und Titten zeigen und das Ganze als indianisches Volksgut ausgeben zu können. Die traditionelle Seminolentracht galt als zu bieder für die Parade, deshalb trat Prinzessin Goldene Sonne in einem Mikrobikini aus Hirschlederersatz auf. Der authentische Tanz der grünen Ähren wurde als zu feierlich und monoton verworfen; statt dessen führte Goldene Sonne den Lambada auf, einen unterleibsintensiven lateinamerikanischen Tanz. Umringt von pseudoindianischen Kriegern in bunten brasilianischen Suspensorien, verkündete die Prinzessin in Gesang und Spiel ihre leidenschaftliche Liebe zu dem berühmten Seminolenhäuptling Osceola. Bei der Nachricht von seinem Tod brach sie in Tränen aus und gelobte, fortan durch die Everglades zu geistern und seine Seele zu suchen. Der Höhepunkt des Dramas und der Parade war der Augenblick, wenn Goldene Sonne auf einen wilden Panther stieg (in diesem Fall eine massiv unter Drogen gesetzte afrikanische Löwin) und in einem aufsteigenden Nebel aus Trockeneisdämpfen verschwand.
    Es war die bei der im Wunderland angestellten weiblichen Schauspielertruppe am meisten begehrte Rolle, und für ein halbes Jahr hatte Annette Fury sie innegehabt, eine Tänzerin mit geradezu gebirgsähnlichen weiblichen Rundungen, die vorher als Obenohne-Serviererin in einem Stehcafe in Fort Lauderdale gearbeitet hatte. Auch als Sängerin nicht übel, hatte Miss Fury die Rolle der Prinzessin Goldene Sonne so gut gemeistert, daß die Zeitung in Key Largo einen wohlwollenden

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