Grün war die Hoffnung
Erfahrung, dass die Konzentration auf den Verkehr – und sei sie noch so oberflächlich und die Strecke noch so kurz – sie nur ablenkt. Jedesmal gibt es irgendein Problem: Entweder hat sich ein Unfall ereignet oder eine Spur ist gesperrt, damit der Asphalt ausgebessert oder der Seitenstreifen befestigt werden kann oder was immer es ist, was diese Bauarbeiter nachts auf der Schnellstraße machen, oder es herrscht einfach Wahnsinn, schlichter Wahnsinn – schlechte Manieren, Handytelefonate, allgemeine Unaufmerksamkeit –, und diese Verzögerungen bringen sie aus dem inneren Gleichgewicht. Wenn man vor sich eine Kette von Bremslichtern sieht, weiß man nie, ob man für fünf Minuten oder eine Stunde aufgehalten wird. Oder für immer. Für den Rest des Lebens.
Und natürlich: Einen Kilometer vor ihrer Ausfahrt erwartet sie ein Meer von roten Lichtern, und im nächsten Augenblick stehen sie hinter einem Pick-up, dessen mittels eines Gespinstes aus glänzenden Streben höhergelegte Karosserie so hoch aufragt, dass der Rüssel eines Zwergmammuts das Dach nicht hätte erreichen können. »Scheiße«, zischt sie und beißt sich auf die Unterlippe, eine schlechte Angewohnheit, wie sie weiß, aber sie kann nicht anders. »Ich wusste, wir hätten außen herum fahren sollen.«
Tim zuckt die Schultern und wechselt den Sender, worauf die beruhigende Stimme des Sprechers sich im Schlagen und Rasseln von Trommeln, Congas und Kuhglocken und dem klagenden, beinahe menschlichen Klang einer Gitarre auflöst, der sich über dieser rhythmischen Sturzflut aufschwingt. »Wahrscheinlich geht’s gleich weiter«, sagt er. »Außerdem haben wir noch zwanzig Minuten. Und die nächste Ausfahrt ist Mission. Siehst du sie? Da vorn, hinter dem Heck von diesem Idioten.«
Sie antwortet nicht. Sie wendet nur den Kopf, blickt aus dem Fenster auf das Autogeschäft neben der Schnellstraße – noch mehr Autos – und stößt einen langen, vernichtenden Seufzer aus. Es ist nicht Tims Schuld, und sie will ihn nicht dafür büßen lassen. Er tut sein Bestes, und die schnellste Verbindung ist zweifellos die Schnellstraße. Wie hätte er wissen sollen, dass das passieren würde? (Allerdings hat sie für den Schleichweg plädiert, als er den Blinker eingeschaltet hat, um auf die Schnellstraße zu fahren. Ist da nicht noch Berufsverkehr? hat sie gefragt, und er hat ihr versichert: Nein. Jetzt nicht mehr. Wir sind rechtzeitig da. ) Es war also seine Entscheidung. Und sie war einverstanden. Und jetzt stehen sie hier. Es geht nicht vor und nicht zurück.
Nach einer Weile sagt er: »Muss ein Unfall sein.«
Sie ist ganz in Schwarz – gebügelte Baumwollhose, Lacklederpumps, ein Oberteil mit V-Ausschnitt, das Ganze akzentuiert durch eine Halskette und ein Armband, beides Silber, nichts Protziges, nichts, an dem irgend jemand Anstoß nehmen könnte –, und ihre Unterlagen sind in dem Schnellhefter auf dem Laptop, den sie auf dem Schoß hat. Am Nachmittag hat sie lange gebraucht, um zu entscheiden, was sie anziehen wird, sie hat versucht, die Mitte zwischen formell und lässig zu finden und auszusehen wie eine Ökologin, die eben noch in der freien Natur war und über das richtige Maß an Chic verfügt, um nicht einschüchternd, sondern sympathisch und überzeugend zu wirken, und dann hat sie eine Stunde vor dem Spiegel verbracht und sich das Haar ausgebürstet und Make-up aufgelegt. Zuviel Wimperntusche, und sie sähe aus wie ein Flittchen. Zuwenig, und man würde weder die Form ihrer Augen sehen noch die Art, wie sie das Licht einfangen (eine Eigenschaft, die Leute auf der Straße manchmal starrend stehenbleiben lässt). Ein gutes oder wenigstens modisches und interessantes Erscheinungsbild gehört in ihrem Job zum Anforderungsprofil. Wer will schon auf einem Stuhl mit harter Lehne sitzen und sich anhören, wie ein schlechtgekleideter Waldschrat Statistiken über den Rückgang dieser oder jener Spezies abspult? Sie ist da, damit man sie ansieht und ihr zuhört, und damit hat sie kein Problem. Wenn sie ihr Aussehen zur Förderung ihrer Ziele einsetzen kann – um so besser.
Aber verdammt, verdammt, dass sie ihr diese Sache so schwer machen. Und sie hätte niemals diesen Tee trinken sollen: Das Koffein lässt das Blut in ihren Ohren pochen und legt ihre Nerven blank, als hätte sie ihren Körper mit einem Gemüseschäler bearbeitet. »Ich wollte, ich wäre auf den Inseln«, sagt sie und sieht ihn abrupt an. »Wirbellose sammeln. Vögel beringen. Irgendwas.
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