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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Fieber linderte und ihn mit Kräutern und wilden Zwiebeln labte. Allmählich kam er wieder zu Kräften, bis er eines Tages ohne fremde Hilfe aufstehen und seine Forderung nach Tribut wiederholen konnte. Diesmal jedoch verlangte er weder Biberfelle noch wampumpeak – er wollte Minewa. Sachoes zögerte, aber der Mohawk tobte und drohte und schnitt sich an drei Stellen die Brust auf, um seine Lauterkeit zu beweisen. Er würde sie nach dem Land im Norden bringen und zu einer Königin machen. Natürlich, wenn es Sachoes lieber war, ginge der tapfere Krieger eben mit leeren Händen heim, um irgendwann in einer sternlosen Nacht mit einem Stoßtrupp wiederzukehren und die Kitchawanken wie Hunde niederzumetzeln. Sachoes, der bald darauf von einem holländischen Kaufmann übertölpelt werden sollte, was zur Gründung von Peterskill auf demselben heiligen Felsen führte, von dem aus des Häuptlings Ahnen Manitous Große Frau zur Erde hatten niederfahren sehen, sagte: »Klar, nimm sie mit.«
    Zwei Wochen später durchkämmte eine Gruppe Kitchawanken auf der Suche nach Eicheln, Kastanien und Hagebutten das Nachbartal, als sie den Rauch einer Feuerstelle bemerkten. Vorsichtig, voller Mut und Neugier und nicht ohne gehörige Kühnheit – bei Manitou, der Teufel selbst mochte dort sitzen und irgendeine Seuche zusammenbrauen – näherten sie sich der Lichtung, von der Rauch zum Himmel aufstieg wie der Traum eines Kapnomanten. Was sie dort sahen, sagte Walters Großmutter, während sie Mayonnaise verstrich, war Verrat. Was sie sahen, waren Mohawk und Minewa, vielmehr, was von ihr noch übrig war. Von der Hüfte abwärts war nichts mehr da, erzählte seine Großmutter und legte das Sandwich vor ihn hin – die Leberwurst sah aus wie Menschenfleisch, ja sie roch auch so –, nichts als Knochen.
    Waren die Bilder von Mutter und Großmutter durch Reizungen des Geruchszentrums wachgerufen worden, so lag der Fall beim Geist seines Großvaters komplizierter. Vielleicht ist es mit Assoziationen ebenso: es braucht nur einen kleinen Anstoß, schon folgt eine auf die andere, und das Gehirn reiht Erinnerungen aneinander wie Perlen auf einer Schnur. In der Hitze des Nachmittags jedenfalls hatte der alte Harmanus Van Brunt gleich links neben der Drehbank Gestalt angenommen, grobschlächtig, bierbäuchig und breitschädlig, behaart wie ein Eber, Schneidöl und Aluminiumspäne in den Haaren seiner Unterarme, eine Tonpfeife zwischen die Zähne geklemmt. Sein ganzes Leben lang war er Fischer gewesen, hatte mit der Kraft seiner Schultern und seinem Bauch als Gegengewicht die Netze eingeholt, und gestorben war er, wie er geboren wurde: auf dem Fluß. Walter war zwölf oder dreizehn gewesen. Sein Großvater war damals schon zu alt, um die schweren Stellnetze mit den Streifenbarschen und Stören an Land zu ziehen, hielt sich aber in Übung, indem er Plötzen einfing, die er aus Trögen als Köder verkaufte. Eines Nachmittags – für Walter war die Erinnerung daran wie ein glühendes Brenneisen – wurde das Gesicht des Alten starr, dann klappte ihn der Schlaganfall wie ein Taschenmesser zusammen, und er fiel kopfüber in den Trog, wo sich das Gewusel der Plötzen über ihm schloß. Bis Walter Hilfe holen konnte, war der alte Mann ertrunken.
    Bei dem Holländer war es wieder anders. Eine Figur, wie sie Walter auf der Europareise mit den Solovays in einer Amsterdamer Galerie gesehen hatte. Oder vielleicht auf einer Zigarrenkiste. Er grübelte darüber nach und schrieb das Ganze dann seinen Verdauungsbeschwerden und dem genetischen Gedächtnis zu, zu gleichen Teilen. Als die Fünf-Uhr-Sirene heulte, schüttelte er zweimal den Kopf, wie um ihn klar zu bekommen, und donnerte auf seinem Motorrad zum »Throbbing Elbow«, um dort aus Anlaß seines zweiundzwanzigsten Geburtstags in aller Tristesse ein Bier zu kippen.
    Doch selbst hier, in diesem Schrein der Gegenwart mit den grellen Neonröhren, den dröhnenden Tieftönern und den Schwarzlichtstrahlern, ereilte ihn eine Attacke der Geschichte. Als er in seinen neuen Dingo-Stiefeln mit den Sporenriemenattrappen durch die Tür gestolpert kam, hätte er schwören können, daß da sein Vater an der Bar stand, neben einem Mädchen, dessen Kleid so kurz war, daß es die untere Rundung ihres Hinterns freiließ. Er irrte sich. Bei seinem Vater jedenfalls; der Hintern des Mädchens war unbestreitbar. Sie trug ein Minikleid aus Papier, handgefärbt von den Shawangungk-Indianern aus der Reservation südlich von Jamestown,

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