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Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Grüne Tomaten: Roman (German Edition)

Titel: Grüne Tomaten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fannie Flagg
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Hartman nahm das Foto in die Hand und lachte. »Oh, das ist die verrückte Idgie Threadgoode, die hier mal ein Café betrieben hat.«
    »Kannten Sie Idgie?«
    »Wer kannte sie nicht? Oh, sie war unbeschreiblich. Niemand wusste, was sie im nächsten Moment tun würde.«
    »Schauen Sie, Mrs. Hartman, da ist ein Foto von Mrs. Threadgoode.« Es war vor etwa zwanzig Jahren in der Stadt aufgenommen worden, im Loveman-Kaufhaus. Mrs. Threadgoode hatte bereits graue Haare und sah fast genauso aus wie bei der letzten Begegnung mit Evelyn.
    Mrs. Hartman griff nach dem Bild. »Gott segne sie … An dieses Kleid erinnere ich mich, dunkelblau mit weißen Tupfen. Sie muss es dreißig Jahre lang getragen haben. Ihre ganze Garderobe hat sie der Wohlfahrt vermacht. Und sie besaß wirklich nichts Besonderes, die arme Seele, nur einen Mantel und ein paar Hauskleider. Die Möbel wurden bereits abgeholt – alles außer dem Schaukelstuhl auf der Veranda. Ich brachte es einfach nicht übers Herz, den wegzugeben. Den ganzen Tag und bis in die Nacht hinein saß sie darin und wartete auf die Züge. Ich fände es nicht richtig, wenn ein Fremder diesen Stuhl bekäme. Das Haus hat sie unserer Tochter Terry vererbt.«
    Evelyn nahm immer noch Papiere aus der Schachtel. »Oh, eine alte Speisekarte vom Whistle Stop Café, anscheinend aus den dreißiger Jahren. Können Sie sich diese Preise vorstellen? Ein Barbecue für zehn Cent … Und ein ganzes Dinner für fünfunddreißig! Ein Stück Kuchen kostete fünf Cent.«
    Dann fand sie ein Foto von Idgie, die eine Juxbrille mit Gumminase trug, neben vier Männern in verrückten Kostümen. Darunter stand: »Dillgurkenclub – Eisschrank-Possen 1942.«
    Eine Osterkarte von Cleo, die Ansichtskarten, die Evelyn aus Kalifornien geschickt hatte, eine Speisekarte von einem Southern-Railroad-Pulman-Speisewagen aus den fünfziger Jahren, ein halb verbrauchter Lippenstift, eine Fotokopie des neunzigsten Psalms, ein Klinikarmband mit der Aufschrift: »Mrs. Cleo Threadgoode, sechsundachtzig …«
    Und ganz unten lag ein Kuvert, adressiert an »Mrs. Evelyn Couch«.
    »Oh, sie hat mir einen Brief geschrieben.« Sie riss den Umschlag auf und las vor: »›Liebe Evelyn, ich habe ein paar von Sipseys Originalrezepten notiert, und die wollte ich an Sie weitergeben, besonders das für die gebratenen grünen Tomaten. Ich liebe Sie, kleine Evelyn. Werden Sie glücklich. Ich bin es. Ihre Freundin, Mrs. Cleo Threadgoode.‹«
    »Gott segne sie«, flüsterte Mrs. Hartman. »Das alles wollte sie Ihnen geben …«
    Traurig faltete Evelyn den Brief zusammen und räumte alles wieder in die Schachtel zurück. Mein Gott, dachte sie, da hat ein Mensch siebenundachtzig Jahre auf dieser Erde verbracht, und das ist alles, was von ihm übrig blieb – ein Karton voller alter Papiere.
    Sie fragte Mrs. Hartman nach dem Weg zu der Stelle, wo sich früher das Café befunden hatte.
    »Das ist nur ein paar Blocks weiter oben an der Straße. Ich begleite Sie gern und zeig’s Ihnen.«
    »Oh, das wäre nett. Wenn Sie Zeit hätten …«
    »Natürlich. Ich schalte nur rasch die Bohnen ab und schiebe den Braten in den Backofen, gleich bin ich fertig.«
    Evelyn trug das Bild, den Schuhkarton und das Steingefäß ins Auto. Während sie wartete, schlenderte sie zu Mrs. Threadgoodes Garten hinüber. Sie schaute nach oben und begann zu lachen. In den Zweigen einer Birke steckte immer noch der Besen, von der alten Frau vor über einem Jahr nach den Blauhähern geworfen. Und auf den Telefondrähten hockten die Amseln, die sie »durch die Füße« bei Telefongesprächen belauscht hatten … Das Haus sah so aus, wie es den Beschreibungen Mrs. Threadgoodes entsprach, mit Geranientöpfen und Schneeballbüschen vor der Fassade.
    Als Mrs. Hartman erschien, fuhren sie zum einstigen Café, keine zwanzig Schritte von den Gleisen entfernt. Daneben lag ein ebenfalls leer stehender kleiner Ziegelbau mit einem verblichenen Schild in einem Fenster. Mühsam entzifferte Evelyn: »Opals Friseursalon.« Alles war genauso, wie sie es sich vorgestellt hatte.
    Mrs. Hartman zeigte ihr Poppa Threadgoodes ehemaligen Laden, jetzt ein Rexall Drugstore. Darüber lagen die Räume des Elchclubs. Dann fragte Evelyn, ob sie auch Troutville sehen könne.
    »Klar, meine Liebe, das ist gleich da drüben auf der anderen Seite von den Schienen.«
    Während sie durch Troutville fuhren, staunte Evelyn, weil das Schwarzenviertel so klein war – nur ein paar winzige, heruntergekommene Hütten.

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