GU Mein Gluecksrezept
Das war und bin ich meinen Patientinnen schuldig. Als Arzt musst du Ruhe bewahren und darfst niemanden verrückt machen. Damals aber stand ich selbst mächtig unter Strom. Und wenn ich daran denke, wie ich mich geniert habe, meine Bettpfanne zu benutzen … Aber es half nichts, und im Nachhinein betrachtet hat es mir nicht geschadet, ans Bett gefesselt und gezwungen zu sein »runterzukommen«.
Alles im Leben hat seinen Sinn
Die Situation war eine Gelegenheit zum Innehalten. Sie hat mich geerdet. Und außerdem war das alles ja noch harmlos gegen den wirklichen Kampf um mein Leben ab 2004, also erst fünf Jahre später.
Ich denke, dass man in solchen Situationen auch einen Sinn finden kann, wenn man nur möchte – und sich genug Zeit lässt. In solchen Momenten muss man sich besinnen auf das, was einem wirklich wichtig und wesentlich ist.
In gewisser Weise fühlt es sich an wie ein Filmriss. Die Zeit bleibt stehen, und die eintretende Leere fordert einen auf, in sich zu gehen, sich zu prüfen: »Ist dein Weg richtig? Stimmt das, was du tust, wirklich mit dir und deinen Zielen überein oder musst du deine Strategie ändern? Ist das, was du machst, deine Leidenschaft? Machst du es wirklich gerne?« So in der Art.
Ein Unglück kommt selten allein
Hinzu kam dann noch der Autounfall meines Mannes nur sechs Tage vor der Geburt unserer Tochter. Stefan hätte bei der Heftigkeit der Überschläge innere Blutungen erleiden können, das Gehirn hätte geschädigt werden können, er hätte für den Rest seines Lebens ein Pflegefall sein können. Und auch bei mir hätte die extreme Frühgeburt mit allen damit verbundenen Risiken anders ausgehen können. Hätte, würde, könnte … Nein! Letztlich haben wir dann doch unbeschreibliches Glück im Unglück gehabt. Und so sahen wir die Situation auch als eine vom Schicksal verordnete Zwangspause, die uns unruhige Geister zum Innehalten und Überlegen brachte.
Wir redeten viel über das Jetzt und das Morgen, über uns und wie sich das Leben in einem Augenblick jederzeit ändern kann. Ein amüsantes Bild muss das gewesen sein, wie mein humpelnder, unfallversehrter Mann seine hochschwangere Liebste und ihren Bauch im Rollstuhl an blühenden Rosenrabatten vorbei durch den Neumarkter Krankenhausgarten schob. Alles war wieder gut, bis ich plötzlich die heftigsten Wehen bekam. Das waren keine Senk- oder Vorwehen, geschweige denn Eröffnungswehen. Ich dachte, es zerreißt mich.
Es ist soweit
Stefan schaltete sofort auf Hebammen-Autopilot um und gab mir weise Ratschläge: in den Bauch atmen, ruhig bleiben und daran denken, dass der eigentliche Geburtstermin doch erst in vier Wochen war. Das geschah, während er humpelnd und schnaufend den schweren Rolli durch den Kies gen Krankenhauseingang schob. Die Situation war so furchtbar, dass ich ihm am liebsten nur zugerufen hätte, er solle doch bitte die Klappe halten. Nur war es bei mir mit Sprechen nicht so weit her in diesem Moment. Wer einmal im Sitzen, eingequetscht in ein schmales Stühlchen, heftige Geburtswehen durchgemacht hat, weiß, wovon ich rede. Währenddessen versuchte mich mein lieber Mann mit Themen wie anstehenden Bauprojekten vom Geschehen abzulenken, brachte mir seine Überlegungen zur Herkunft des so sprechenden Wortes »Wehen« nahe und beruhigte mich ächzend, dass ja bis jetzt noch jedes Kind auf die Welt gekommen sei. Mit meiner Contenance war es auf jeden Fall vorbei.
Im Kreißsaal waren passenderweise schon die Lichter aus, und mein Mann verstummte das erste Mal vor Schreck und Sorge, bat mich allerdings gleich darauf, die Geburt doch noch um einen, zwei Tage hinauszuzögern – unserer Maus zuliebe, für die das so wichtig sei. Ich hatte ihm nicht beigebracht, dass es die Kinder sind, die die Geburt einleiten und nicht die Mütter … Nun denn: Im Kreißsaal stand glücklicherweise meine Lieblingshebamme, die zunächst noch ein paar Ermahnungen für mich bereithielt, da mein Muttermund offenbar bereits weit offen war und ich schon früher hätte vorstellig werden sollen. Kurzum: Am 9. September 1999 wurde unsere Tochter Catherine geboren. Und das war der bis dahin schönste Moment in meinem Leben. Wir strahlten vor reinstem Glück. Es war für mich eine Riesenbelohnung für die Entbehrungen und Sorgen während der Problemschwangerschaft und ein Trost für die Ängste um Stefan.
Jetzt geht’s bergauf
Nun konnte eigentlich alles nur noch besser werden. So dachten wir uns das. Wir stellten uns dem neuen Alltag
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