Gucci war gestern: Bekenntnisse einer eingebildeten Glamour-Queen, oder warum Sie nie mit Ihrer Pradatasche aufs Arbeitsamt gehen sollten (German Edition)
Hunderte von Stellenanzeigen beworben, Dutzende von Netzwerkveranstaltungen besucht, mich bei jedem einzelnen Arbeitsvermittlungsportal im Internet angemeldet und Headhuntern so oft hinterhertelefoniert, dass es schon beinahe an strafrechtlich relevante Belästigung grenzt. Ich sitze mitnichten zuhause rum, rauche eine Zigarrenschachtel nach der anderen und warte darauf, dass »die da oben« mir meine Kohle rüberschieben.
Inzwischen mache ich mir ernsthaft Sorgen, dass meine Unterstützung auslaufen könnte, ehe ich eine neue Stelle gefunden habe, und ich gezwungen sein werde, irgendwas Grässliches zu machen wie beispielsweise zu kellnern. Es fällt mir schwer, mich mit dem Gedanken anzufreunden, dass ich, statt die Vorstandsvorsitzenden der fünfhundert umsatzstärksten börsennotierten Unternehmen der USA zu beraten, sie demnächst nach ihrem Salatdressingwunsch befragen werde. Das können Sie sicher nachvollziehen. Und darum glaube ich auch, die zusätzlichen dreizehn Wochen könnten den entscheidenden Unterschied für meine berufliche Zukunft ausmachen.
Bitte klären Sie mich also darüber auf, wieso Sie das für keine gute Idee halten. Ich bin auf Ihren Standpunkt gespannt.
Besten Dank
Jen Lancaster
PS: Sie sehen toll aus, seit Sie abgenommen haben. Hey, warum verraten Sie in Ihrer Sendung nicht öfter mal ein paar Diät-Tipps? Ich wette, das würde die Einschaltquoten bei den kritischen Achtzehn- bis Fünfundvierzigjährigen dramatisch in die Höhe treiben.
Ich brauche ein bisschen Zeit, um mich ausgiebig in Selbstmitleid zu suhlen, also lasse ich mich in meine Superluxusbettwäsche aus edelster ägyptischer Baumwolle mit Tulpendruck fallen, streife die Slingbackpumps von Chanel ab und beginne, Trübsal zu blasen. Während ich die rauen Bohlen meiner Holzbalkendecke anstarre, gehe ich in Gedanken das vergangene Jahr durch. Ich versuche mir auszumalen, wie ich meine Entlassung hätte verhindern können. Hätte ich mich noch mehr reinknien können? Hatte ich wirklich alles für das Unternehmen gegeben? Ich mustere das kunstvolle Backstein-Mauerwerk, während ich mich frage, ob ich vielleicht nicht innovativ genug gewesen bin. Meine Ideen waren doch durch und durch neu und originell, oder? Mein Blick wandert zu den glänzenden Bodendielen, während ich weitergrübele. Hatte ich auch wirklich alle Gelegenheiten genutzt? Und hatte ich mir nicht immer die allergrößte Mühe gegeben und mein Bestes dazu? Kritisch betrachte ich die makellosen Lamellen der hellen Holzjalousie, während ich die zwischenmenschliche Seite des Jobs überdenke. Hätte ich engeren Kontakt zu meinem Kundenstamm pflegen müssen? Oder mehr Wert auf Teambildung legen sollen? Oder mich mit Kathleen besserstellen? Ob meine Art mit Menschen umzugehen je Anlass zur Klage gegeben hatte? Und wie ich so in der Stille meiner Wohnhöhle tief in die Abgründe meiner Seele spähe, trifft mich die Erkenntnis wie ein Schlag …
Ich war ohne Fehl und Tadel. Und meine Entlassung? Würde denen noch leidtun.
Nachdem ich mich also von jeglicher Verantwortung freigesprochen und mir die Absolution erteilt habe, beschließe ich, mich an die Arbeit zu machen. Glücklicherweise habe ich vor einiger Zeit die Daten meiner Kundenkartei von meinem Organizer auf meinen Rechner übertragen und daher eine gigantische Liste von Leuten, die ich alle wegen eventuell offener Stellen anhauen kann. Mir ist schon wesentlich wohler, als ich mich an den Schreibtisch setze und anfange zu wählen.
Unglaublich. Die allermeisten meiner Bekannten, die mich einstellen könnten, hat ein ähnliches Schicksal ereilt. Die wenigen, die noch fest angestellt sind, warten nur darauf, dass auch ihnen der Himmel auf den Kopf fällt. Es scheint, als seien die letzten Wochen wirklich brutal gewesen für alle, die in meiner Branche arbeiten. Was nun? Ich habe schon Anzeigen in sämtlichen Arbeitsvermittlungsportalen gepostet, mich auf jede einzelne Stelle beworben, für die ich auch nur im Entferntesten qualifiziert bin, und mich bei unzähligen Personalvermittlern empfohlen. Außerdem ist das Haus so sauber, dass man sich drin spiegeln kann, das Essen ist für die nächsten drei Tage im Voraus gekocht, ich habe mich ausführlich mit sämtlichen Familienmitgliedern und all meinen Freunden unterhalten, jede meiner beiden Katzen hat mehr als genug Katzenminze und Kinnkraul-Einheiten abbekommen, und sagen wir so, jegliche Eiscreme in diesem Haushalt ist nur noch eine vage
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