Gullivers Reisen
schwammen in Thränen und mein Herz war durch Gram erdrückt. Seine Gnaden beschloß jedoch, theils aus Neugier, theils aus Gütigkeit gegen mich (wenn ich ohne Eitelkeit dies Wort gebrauchen darf), mich in meinem Cano zu sehen, und nahm mehrere seiner Freunde mit sich, welche in der Nachbarschaft wohnten. Ich mußte ungefähr eine Stunde auf die Fluth warten, und als ich dann bemerkte, daß der Wind für meine Fahrt nach der Insel günstig war, nahm ich zum zweiten Mal Abschied von meinem Herrn. Als ich mich nun niederwerfen wollte, um seinen Huf zu küssen, erwies er mir die Ehre, ihn sanft an meinen Mund zu erheben. Ich weiß sehr wohl, daß man mich wegen der Erwähnung dieses letzteren Umstandes sehr getadelt hat. Verleumder haben es für unwahrscheinlich gehalten, daß eine so erlauchte Person sich herabließ gegen ein so tief unter ihm stehendes Geschöpf. Auch habe ich nicht vergessen, wie gern einige Reisende sich außerordentlicher Gunstbezeugungen rühmen. Wären aber diese Verleumder mit dem edlen und höflichen Charakter der Hauyhnhnms besser bekannt, so würden sie bald ihre Meinung ändern.
Ich begrüßte die übrigen Hauyhnhnms in Gesellschaft Seiner Gnaden, stieg in mein Cano und stieß vom Ufer.
Elftes Kapitel.
Des Verfassers gefährliche Reise. Er kommt nach Neuholland und hofft sich dort niederzulassen. Er wird von einem Eingeborenen durch einen Pfeil verwundet. Er wird gefangen genommen und mit Gewalt in ein portugisisches Schiff gebracht. Die große Höflichkeit des Kapitäns. Der Verfasser kommt in England an.
Ich begann diese verzweifelte Reise am 15. Februar 1715 um 9 Uhr Morgens. Der Wind war sehr günstig. Zuerst machte ich nur von meinen Rudern Gebrauch. Da ich jedoch bedachte, daß ich bald müde seyn würde, und daß der Wind umschlagen könne, wagte ich es, mein kleines Segel aufzuziehen, und kam hierdurch und durch Hülfe der Fluth ziemlich schnell vorwärts. Mein Herr und seine Freunde blieben am Ufer, bis ich beinahe ausser ihrem Gesicht war. Auch hörte ich, wie der fuchsbraune Klepper, der mich immer liebte, mir mehrere Male zurief: Hnuy illy neihä mädschuh Yähu; das heißt: Hüte dich vor Gefahr, artiger Yähu.
Ich beabsichtigte, eine kleine unbewohnte Insel zu entdecken, welche jedoch genügen würde, bei einiger Arbeit mich mit den nothwendigen Bedürfnissen des Lebens zu versehen; dies hätte ich für ein größer Glück gehalten, als wäre ich Premierminister am ersten europäischen Hofe geworden, so furchtbar war mir der Gedanke, in die Gesellschaft und unter die Regierung von Yähus zurückzukehren. In solcher Einsamkeit, wie ich sie mir wünschte, konnte ich doch wenigstens meinen Gedanken nachhängen und mit Entzücken an die Tugenden der unnachahmbaren Hauyhnhnm's denken, wobei mir keine Gelegenheit geboten wäre, in die Laster und Verderbnisse meines Geschlechts zu entarten.
Der Leser wird sich an meine frühere Erzählung erinnern, wie ich nach der Verschwörung meiner Schiffmannschaft und während meiner Gefangenschaft in der Kajüte mehrere Wochen lang eingesperrt blieb, ohne die Richtung, die wir eingeschlagen hatten, zu wissen, wie mir ferner die Matrosen, als ich in das lange Boot gebracht wurde, mit wahren oder falschen Eiden die Versicherung gaben, sie wüßten nicht, in welchem Theile der Welt wir wären. Ich glaubte jedoch damals, wir befänden uns zehn Grade südlich vom Kap der guten Hoffnung ungefähr im 45sten Grade südlicher Breite. Dies konnte ich aus einigen Worten, die ich zufällig hörte, schließen, und die mir, wie ich glaubte, andeuteten, daß sie südöstlich nach Madagaskar steuerten. Obgleich diese Worte mir nur eine Vermuthung an die Hand gaben, so beschloß ich doch, östlich zu steuern: denn ich hoffte, die südwestliche Küste von Neuholland, oder vielleicht eine westwärts von diesem Lande gelegene Insel zu erreichen. Der Wind blies aus Westen, und um 6 Uhr Abends war ich wenigstens 18 Seemeilen nach Osten gefahren, als ich eine kleine, ungefähr eine Seemeile weit entfernte Insel entdeckte, die ich dann auch bald erreichte. Sie bestand nur aus einem Felsen, mit einem durch die Gewalt der Stürme natürlich gebildeten Damm. Hier brachte ich mein Cano in Sicherheit, bestieg einen Theil des Felsens und konnte deutlich in Osten Land entdecken, welches sich von Süden nach Norden hin ausdehnte. Die ganze Nacht blieb ich in meinem Cano liegen; alsdann setzte ich meine Reise am Morgen weiter fort, und erreichte nach sieben Stunden die
Weitere Kostenlose Bücher