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Gullivers Reisen

Gullivers Reisen

Titel: Gullivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Swift
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eine oder die andere Stellung im Leben; die Vorsehung habe die Behandlung der Staatsangelegenheiten zu keinem Geheimniß gemacht, welches nur von wenigen Personen mit höheren Geistesgaben verstanden werden könne; von solchen Menschen werden außerdem immer nur wenige in jedem Menschenalter geboren. Dagegen hegen sie die Meinung, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung und andere Tugenden könnten von jedem Menschen ausgeübt werden. Sey Erfahrung und gute Absicht damit verbunden, so eigne sich ein Jeder für den Dienst seines Vaterlandes, mit Ausnahme derjenigen Geschäfte, wo eine gewisse Uebung erforderlich ist. Dagegen könne der Mangel moralischer Tugenden durch überlegene Geistesgaben so wenig ersetzt werden, daß kein Amt so gefährlichen Händen anvertraut werden dürfe; die durch Unwissenheit bewirkten Versehen würden bei tugendhaftem Charakter im Allgemeinen nie so gefährlich werden, wie die Schliche derjenigen, welche durch böse Neigungen zur Verderbniß geführt werden, und Geisteskräfte besitzen, dieselben zu vervielfachen, zu benutzen und zu beschönigen.
    In gleicher Art wird durch den Unglauben an eine göttliche Vorsehung Unfähigkeit bewirkt, ein öffentliches Amt zu verwalten. Die Lilliputer glauben nämlich, Nichts könne abgeschmackter seyn, als daß Fürsten, welche sich für die Repräsentanten der Gottheit halten, Leute zu ihrem Dienst verwenden, welche die Macht in Zweifel ziehen, worauf ihre eigene beruht.
    Indem ich diese und die folgenden Gesetze anführe, habe ich nur die ursprünglichen Einrichtungen im Auge, nicht aber die schmählichste Verdorbenheit, in welche dieses Volk wegen der so leicht entarteten Natur der Menschen versunken ist. Denn was jene schmachvolle Sitte betrifft, die höchsten Staatsämter durch Seiltanzen oder Gunstbezeugungen und Auszeichnungen durch das Springen über den Stock und das Untendurchkriechen zu erwerben, so muß der Leser im Auge haben, daß sie zuerst von dem Großvater des jetzt regierenden Kaisers eingeführt wurden, und durch das allmählige Steigen des Faktionsgeistes zur jetzigen Höhe gediehen sind.

    Undankbarkeit wird für ein Verbrechen gehalten, welches den Tod verdient. Die Lilliputer begründen dieses Verfahren durch folgende Schlußfolge: »Wer gegen seinen Wohlthäter sich undankbar beweist, muß ein allgemeiner Feind der übrigen Menschen seyn, von denen er keine Wohlthaten erlangt hat, deßhalb ist es nicht zweckmäßig, ihn am Leben zu lassen.«
    Die Begriffe von den gegenseitigen Pflichten der Eltern und Kinder sind gänzlich von den unsrigen verschieden. Da nämlich die Verbindung der Männer und Weiber, wie bei allen Thiergeschlechtern, auf Naturgesetzen beruht, behaupten sie durchaus, daß Männer und Frauen nur deßhalb sich vereinigen; die Zärtlichkeit gegen die Jungen folge aus demselben Grundsatz; deßhalb wollen sie nicht zugestehen, ein Kind sey für sein Daseyn den Eltern verpflichtet, welches ohnedies wegen des menschlichen Elends keine Wohlthat sey; auch bezweckten die Eltern keine Wohlthat, sondern dächten an ganz andere Dinge bei ihren verliebten Zusammenkünften. Wegen dieser und anderer Schlußfolgen sind sie der Meinung, Eltern dürfe man am wenigsten unter allen Menschen die Erziehung der Kinder anvertrauen. Deßhalb befinden sich in jeder Stadt öffentliche Pensionsanstalten, wohin alle Eltern, mit Ausnahme der ärmern Bauern und Taglöhner, ihre Kinder senden müssen, damit diese dort nach dem Alter von zwanzig Monaten erzogen werden, denn es wird angenommen, daß sie um diese Zeit bereits Anlagen zum Lernen besitzen. Die Schulen sind verschiedener Art und nach den Eigenschaften und Geschlechtern der Zöglinge geschieden. Geschickte Lehrer erziehen die Kinder zu dem Lebensverhältniß, wozu sie durch den Stand ihrer Eltern, durch ihre Fähigkeiten und Neigungen sich eignen. Zuerst werde ich hier einiges über die männlichen und dann über die weiblichen Erziehungs-Anstalten berichten.

    Die Unterrichts-Anstalten für Knaben von hoher und ausgezeichneter Geburt sind mit berühmten und gelehrten Professoren und Unterlehrern versehen. Kleidung, so wie Nahrung der Kinder, sind höchst einfach. Sie werden in den Grundsätzen der Ehre und Gerechtigkeit, des Muthes, der Keuschheit, Milde, Religion und Vaterlandsliebe erzogen. Sie sind stets beschäftigt, nur nicht während des Essens und Schlafens, wofür jedoch nur eine knappe Zeit bestimmt ist, und während zwei Erholungsstunden, die zu körperlichen Uebungen

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