Im Schatten der Burgen: Ein historischer Kriminalroman aus der Eifel (German Edition)
Qualen
Nikolaus Krebs schloss ermattet die Augen. Er war erschöpft, verzweifelt. Die letzten Tage waren für ihn alles andere als einfach gewesen. Er hatte helfen wollen, hatte sich für andere eingesetzt, die unschuldig angeklagt worden waren. Er dachte an all die hochgelobten Werte der Moral und Ethik, die ihm zuerst seine Eltern und später seine Lehrer nahegebracht hatten: Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Ehrlichkeit. Voller Mut und Gottvertrauen hatte er sich darangemacht, diese Eigenschaften zu leben – hatte sich wirklich angestrengt, seiner Familie alle Ehre zu machen. Doch statt der erhofften Dankbarkeit hatte er nur Hass geerntet. Abgrundtiefen Hass und die schreckliche Anklage, ein Mörder zu sein.
»Was soll aus mir werden? Wie soll es weitergehen?«
Nikolaus konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Das Dröhnen in seinem Kopf wurde immer stärker, brachte ihn fast um den Verstand. Mit zitternden Händen rieb er seine pochenden Schläfen. Der junge Mann legte seinen Kopf in den Nacken und streckte seine Beine aus. Er versuchte, es sich auf dem wackeligen Stuhl ein wenig gemütlicher zu machen. Ein Bett wäre jetzt das Richtige. Vielleicht konnte er einen Moment ausruhen, vielleicht auch etwas schlafen. Er musste so schnell wie möglich einen klaren Kopf bekommen.
Draußen war es langsam dunkel geworden. Die Sonne war schon längst hinter der Bergkuppe verschwunden. Durch das offene Fenster hörte man das sanfte, beruhigende Rauschen und Gurgeln der Lieser, die an der Mühle vorbeifloss. Das Plätschern vertrieb nach und nach die bösen, beängstigenden Gedanken. Ab und zu erklang dazu das Heulen von Käuzchen, die sich nun auf die Jagd machten, um nach unvorsichtiger Beute zu suchen. Ein erfrischendes Lüftchen strich durch den Raum. Die sich ausbreitende abendliche Kühle vertrieb die bedrückende Hitze des Tages.
Langsam klang der Druck in Nikolaus´ Kopf ab, und er konnte ein wenig freier durchatmen. Hier in der Dunkelheit zu sitzen und nichts zu sehen und zu hören, war erstaunlich beruhigend. Als hätte er die gesamte Welt hinter sich gelassen und wäre in eine andere Sphäre hinübergeglitten. An einen Platz, wo es keine Erinnerung mehr an all die Grausamkeiten, Unmenschlichkeiten und Bösartigkeiten der Menschen gab. So musste sich das Paradies anfühlen.
Der junge Mann lächelte. Wenn die Eltern von seiner momentanen Lage wüssten! Ihr geliebter Nikolaus, Sohn der angesehenen Händlerfamilie Krebs aus Kues an der Mosel, der in Heidelberg und Padua studiert hatte, mit einem Doktortitel in Jura, in Diensten des Kurfürsten von Trier; ihr Nikolaus, der in Köln Rechte unterrichtete und eine erfolgversprechende Laufbahn vor sich hatte. Dieser kluge und studierte Bursche hatte sich wie … wie ein Trottel benommen und stand nun in Verdacht, ein Mörder zu sein.
»Ich Idiot!«, schimpfte er. »Wie soll ich das meinen Eltern erklären? Oder dem Erzbischof? Mein Leben ist vorbei!«
Wie würde sein Ende wohl aussehen?
»Köpfen?« Er lachte leise vor sich hin. »Das ist dem Herrscher von Manderscheid bestimmt zu schnell und nicht schmerzhaft genug. Verbrennen? Wohl eher nicht. Ich bin schließlich kein Häretiker. Vierteilen? Das schon eher. Oder … aufs Rad flechten.«
Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Aber erst musste man ihn einmal zu fassen bekommen. Und bevor das geschah, würde er lieber fliehen und sich als Tagelöhner irgendwo weit weg von hier durchschlagen. Irgendwie würde er es schon schaffen, sich eine neue Existenz aufzubauen. Schließlich war er nicht auf den Kopf gefallen.
Dabei hatte er nur helfen wollen und war unerwartet mitten in die Verwicklungen um einen Mord hineingerissen worden. Anstatt als unbeteiligter Beobachter ein wachsames Auge auf die Umstände zu werfen, fand er sich nun im Zentrum des Geschehens wieder, alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Wie hatte das bloß passieren können? Es hatte so harmlos begonnen.
Erste Begegnung
Es war ein stickiger, schwüler Nachmittag im Frühsommer des Jahres Anno Domini 1425. In mehreren Tagesetappen reiste Nikolaus aus Köln kommend zu seinen Eltern, um anschließend nach Trier zu gehen, wo sich der Kurfürst im Moment aufhielt. An diesem Morgen war der junge Mann in Daun aufgebrochen und wollte unbedingt noch das Kloster Himmerod erreichen. In der dortigen Bibliothek musste er sich einige Pergamente anschauen, die für bestimmte juristische Fragen hinsichtlich eines alten Vertrages zwischen dem Kurfürsten von Trier
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