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Gullivers Reisen

Gullivers Reisen

Titel: Gullivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Swift
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Rechten zur Linken, wie die Araber, noch von oben nach unten, wie die Chinesen, sondern quer über das Papier, von einer Ecke des Bogens zur andern, wie die englischen Damen.

    Die Todten begraben sie in der Art, daß sie dieselben mit dem Kopfe in's Grab senken. Sie sind nämlich der Meinung, nach elfhundert Monaten würden sie sämmtlich wieder auferstehen; zu dieser Zeit werde die Erde, die sie sich als flach vorstellen, sich kopfüber, kopfunter kehren, und somit würden sie bei ihrer Auferstehung wieder auf die Füße zu stehen kommen. Die Gelehrten unter ihnen haben schon längst die Abgeschmacktheit dieser Meinung dargethan, allein die Sitte bleibt, um der Meinung des Volkes sich zu fügen.
    Einige Gewohnheiten und Gesetze dieses Reiches sind von sehr besonderer Art; wären sie nicht denen meines eigenen theuersten Vaterlandes durchaus entgegengesetzt, so würde ich es versuchen, Etwas zu ihrer Rechtfertigung zu sagen. Nur wäre zu wünschen, daß man sie sämmtlich ausführte. Das erste, welches ich anführen will, betrifft Denunzianten und Spione. Alle Verbrechen gegen den Staat werden hier mit der größten Strenge bestraft. Ergibt sich aber die Unschuld des Beklagten aus dem Proceß, so wird der Denunziant sogleich auf schmachvolle Weise hingerichtet. Der Unschuldige erhält aber Entschädigung aus den Gütern und Ländereien seines Angebers für den Verlust seiner Zeit, für die Gefahr, in der er schwebte, für die Leiden seiner Gefangenschaft, für alle Kosten, die ihm durch seine Vertheidigung veranlaßt wurden. Ist das Vermögen des Denunzianten nicht genügend, so zahlt die Krone genügende Entschädigung. Der Kaiser erweist ihm auch eine öffentliche Gnadenbezeugung, und in der ganzen Hauptstadt wird seine Unschuld durch Proklamation verkündet.
    Betrug wird als ein größeres Verbrechen wie Diebstahl behandelt, und deßhalb in der Regel mit dem Tode bestraft. Die Lilliputer sind nämlich der Meinung, gehörige Sorgfalt und sehr gewöhnlicher Menschenverstand könne das Eigenthum vor Dieben verwahren, dagegen besäßen ehrliche Leute keinen Schutz gegen die überlegene List der Betrüger; da ein fortwährender Verkehr des Kaufens und Verkaufens, sowie des Handels auf Credit einmal nothwendig sey, werde der ehrliche Mann betrogen und der Schurke sey im Vortheil, sobald Betrügerei erlaubt oder befördert werde, oder wo sich keine Gesetze zur Bestrafung derselben vorfinden. Wie ich mich erinnere, legte ich einst bei dem Kaiser Fürbitte für einen Verbrecher ein, welcher seinen Herrn um eine große Geldsumme betrogen hatte, die er im Auftrage desselben erhalten, allein für sich behielt und damit entfloh. Als ich nun dem Kaiser zufällig sagte, dies sey nur ein Mißbrauch des Vertrauens, erwiderte er tadelnd, es sey schändlich, den höchsten Grad des Verbrechens vertheidigen zu wollen. Hierauf konnte ich auch wirklich keine andere Antwort geben, als das gemeine Sprüchwort: ländlich, sittlich. Ich muß gestehen, daß ich mich herzlich schämte.

    Obgleich wir Belohnung und Strafe die zwei Angeln zu nennen pflegen, auf denen sich jede Regierung bewegt, so habe ich doch diesen Grundsatz bei keiner Nation, mit Ausnahme der Lilliput'schen, ausüben sehen. Jeder, welcher den Beweis vorbringen kann, daß er die Landesgesetze dreiundsiebenzig Monate lang mit größter Strenge befolgt hat, erhält einen Anspruch auf gewisse Privilegien, je nach seinem Stande und Lebensverhältniß, zugleich eine besondere Geldsumme, die aus einem besondern Fond genommen wird. Ferner erhält er den Titel Frillnall, oder der Gesetzliche, der seinem Namen vorgesetzt, jedoch auf seine Descendenzen nicht vererbt wird. Die Lilliputer hielten es auch für einen außerordentlichen Mangel unserer Staatsverfassung, als ich ihnen sagte, die Befolgung unserer Gesetze werde allein durch Strafen erzwungen, ohne daß von irgend einer Belohnung die Rede sey. Mit Rücksicht auf die erwähnte Sitte wird die Gerechtigkeit in ihren Gerichtshöfen mit sechs Augen abgebildet, zwei vorne und hinten, und einem an jeder Seite, um die Vorsicht anzudeuten; sie hält ferner einen Beutel voll Gold mit der rechten, und ein Schwert in der Scheide mit der linken Hand, um anzudeuten, sie sey mehr zur Belohnung wie zur Strafe geneigt.
    Bei der Besetzung der Aemter nehmen sie mehr Rücksicht auf gute Sitten, als auf Fähigkeiten. Sie glauben, da eine Regierung für die Menschen einmal nothwendig sey, eigne sich auch das gewöhnliche Maaß des Verstandes für

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