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Gullivers Reisen

Gullivers Reisen

Titel: Gullivers Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Swift
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den deutlichsten und einfachsten Worten geschrieben und die Einwohner von Brobdingnag besitzen nicht genug Scharfsinn, um mehr als eine Auslegung ausfindig zu machen; ferner gilt es auch als Hauptvergehen, einen Commentar über Gesetze zu schreiben. Was die Entscheidung der Civil- und Criminal-Processe betrifft, so sind die Präcedentien von so geringer Anzahl, daß die Nation sich ihrer Fertigkeit in Beiden nicht rühmen darf.

    Die Einwohner von Brobdingnag befinden sich, so wie die Chinesen, im Besitz der Buchdruckerkunst seit undenklichen Zeiten. Ihre Bibliotheken sind jedoch nicht sehr groß. Die des Königs, welche für die größte gehalten wird, beträgt nicht mehr als tausend Bände, die in einer Gallerie von eintausendzweihundert Fuß Länge aufgestellt sind. Ich hatte die Erlaubniß erhalten, mir dort Bücher nach Belieben zu leihen. Der Tischler der Königin erfand eine hölzerne Maschine von fünfundzwanzig Fuß Höhe, welche wie eine Doppelleiter verfertigt war, und in einem Zimmer der Glumdalclitch aufgestellt wurde; diese Maschine bestand aus einem beweglichen Treppenpaar, deren niedrigster Theil zehn Fuß von der Wand des Zimmers entfernt, aufgestellt wurde. Das Buch, welches ich lesen wollte, wurde an die Wand gelehnt. Ich stieg auf den Gipfel der Treppe, richtete mein Gesicht dem Buche zu und begann dann oben auf der Seite acht bis zehn Schritte, je nach Verhältniß der Zeilen, fortzuschreiten, damit dieselben ungefähr in gleicher Linie mit meinen Augen stünden. Alsdann stieg ich immer niedriger, bis ich an das Ende der Seite gelangte. In derselben Art verfuhr ich auch mit der andern Seite, nachdem ich das Blatt umgeschlagen hatte, was ich leicht mit beiden Händen ausführen konnte, denn die Blätter waren so dick und steif, wie ein Pappendeckel, und in den größten Foliobänden nicht über achtzehn bis zwanzig Fuß lang.
    Der Styl der Schriftsteller ist deutlich, kräftig und fließend, aber durchaus nicht blumenreich. Sie vermeiden nämlich nichts so sehr, als die Anhäufung unnöthiger Worte, oder den Gebrauch verschiedener Ausdrücke. Ich habe mehrere Bücher gelesen, besonders über Geschichte und Moral. Unter andern machte mir eine kleine und alte Abhandlung viel Vergnügen, die stets im Schlafzimmer der Glumdalclitch lag, und ihrer Gouvernante gehörte, einer ernsten alten Dame, welche viele Erbauungsschriften las. Das Buch handelte von der Schwäche des Menschengeschlechtes und steht nur bei Frauen und bei dem geringeren Volke in Ansehen. Ich war jedoch neugierig, was ein Schriftsteller in diesem Lande über einen solchen Gegenstand sagen könne. Der Schriftsteller behandelte alle die gewöhnlichen Gemeinplätze europäischer Moralisten und zeigte, welch ein kleines, hülfloses und verächtliches Thier der Mensch, seiner eigenen Natur überlassen, seye, wie er sich nicht in einem rauhen Klima schützen, und gegen die Wuth wilder Thiere vertheidigen könne; wie sehr ihn das eine Geschöpf in Kraft, das andere in Schnelligkeit, das dritte in Vorsicht, das vierte im Fleiße übertreffe. Der Schriftsteller fügte hinzu: die Natur sey in diesem letzteren Zeitalter ganz entartet, und könne jetzt, in Vergleich mit alten Zeiten, nur kleine Mißgeburten hervorbringen. Man müsse vernünftigerweise annehmen, das Menschengeschlecht sey nicht allein ursprünglich weit größer gewesen, sondern es habe in alten Zeiten auch Riesen gegeben; so wie dies durch Geschichte und Tradition behauptet werde, so sey es durch die ungeheueren Knochen und Schädel erwiesen, die man durch Zufall in den verschiedenen Theilen des Königreichs ausgrabe, und deren Größe das gewöhnliche zusammengeschrumpfte Menschengeschlecht unserer Tage bei weitem übersteige. Der Verfasser glaubte: sogar die Naturgesetze erforderten, daß wir im Anfange größer und stärker gebaut gewesen und dem Untergange bei jedem Zufalle nicht so ausgesetzt gewesen wären, z. B. durch einen vom Dach herunterfallenden Ziegel, durch kleine von bösen Buben geworfenen Steine, oder durch das Hineinfallen in ein Loch. Durch diese Beweisführung kam der Verfasser auf die moralische Anwendung, die im gewöhnlichen Leben nützlich seyn könne, deren Wiederholung hier jedoch unnöthig ist. Was mich betrifft, so konnte ich den Gedanken nicht unterdrücken, das Talent, moralische Vorlesungen zu halten, oder vielmehr Unzufriedenheit und Aerger gleichsam im Zanke mit der Natur zu äußern, sey doch allgemein verbreitet. Wie ich glaube, wird man auch bei

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