Gut genug - Erzählung
finden, und dann gemeinsam über unser Verhältnis zur Sinnlichkeit nachdenken, weil wir durch die künftigen Kinder ein neues Verhältnis zur Sinnlichkeit gewinnen könnten, und ein paar der Frauen sagten, sie finden das Schwangersein und die schwangeren Bäuche sinnlich, und die einen haben die anderen blödsinnig angeglotzt. Ich habe blödsinnig geglotzt und gedacht, den Teufel werde ich tun und A.C. nach der Sinnlichkeit fragen.
Im Winter hat die kleine Katze angefangen, schaurige wilde Töne zu schreien und so lange an der Tür zu kratzen, bis ich ihr aufgemacht habe. Dann ist sie die Treppen hinunter und raus. Ich dachte, jetzt ist sie weg. Nach einer Stunde bin ich unruhig geworden, von der Schreibmaschine aufgestanden und hinuntergegangen. Weg war sie. Ich habe nach ihr gerufen und mit dem Schlüsselbund nach ihr geklingelt, aber sie blieb verschwunden. Ich bin noch mehrmals runter und hoch und runter und hoch, und am Abend kam sie mir aus dem Kelleraufgang entgegen und hochgesprungen. So hat sie es von dem Tag an alle Tage gemacht, ein- oder zweimal ist sie über Nacht weggeblieben, aber zum Glück ist sie nicht unter ein Auto geraten, am Morgen war sie dreckig, verklebt und müde und blieb ein paar Stunden da. Sie hat gefressen, als wäre es für drei Tage. Das ist eine ganze Zeit so gegangen, dann hat es aufgehört, sie ist scheu geworden, und schließlich hat sie drei Junge gekriegt. Sie hat sie in meinem Schrank gekriegt, und erst hat sie sie eine Weile lang nicht gezeigt. Ich bin neidisch und sehr verärgert gewesen, daß so ein Vieh mir das Kinderkriegen vormacht, ohne Atmenlernen und den Quatsch mit der Sinnlichkeit, aber die Kleinen haben mir gut gefallen. Eins war schwarz, und zwei waren grau.
Zwei Wochen später ist Flo geboren.
Während er geboren wurde, habe ich gedacht, möglicherweise ist es doch ein natürlicher Vorgang. Als es das letzte Mal Mode war, Kinder zu kriegen, hatten alle Frauen ihre Kinder schmerzfrei gekriegt. Ganz ohne PDA . Zumindest hatte in den Zeitungen und Illustrierten gestanden, daß es schmerzfrei geht und wie man es macht, und also haben es alle gesagt. Wenn etwas in der Zeitung steht, kann es stimmen oder nicht stimmen, und natürlich findet man durchs Zeitunglesen niemals heraus, ob es stimmt. Falls es gestimmt hat, hatten später jedenfalls alle vergessen, wie es geht, und also hat es so wehgetan, daß man denkt, es kann keinesfalls psychosomatisch sein. Das letzte, was ich gedacht habe, hatte mit dem Christentum zu tun, weil es mir plötzlich eingeleuchtet hat, wie das Christentum funktionieren konnte all diese vielen Jahre, und dann habe ich aufgehört mit dem Denken und nur noch gehört, wie die Hebamme mit mir gesprochen hat. Nur ihre Stimme. Ich habe mich an ihrer Stimme festgehalten, ohne daß ich verstanden hätte, was sie sagt, es war so eine Stimme, an der du dich durchs Wehtun hindurch festhalten konntest. Manchmal war sie energisch. Ich habe alles genauso gemacht, wie es die Stimme gesagt hat, obwohl ich nicht verstand, was sie sagte. Das ging eine Ewigkeit so, weil man während des Kinderkriegens nicht so oft auf die Uhr schaut. Tatsächlich schaut man sonst jeden Tag viele Male auf die Uhr, und während des Kinderkriegens nicht. Kurz bevor Flo geboren wurde, war ich plötzlich hellwach, weil ich dachte, das Kind kann nicht mehr. Die Stimme hatte aufgehört. Dann fing sie wieder an, und ich konnte jetzt hören, was sie sagt. Sie sagte, dem Kind geht es gut. Ich war sicher, daß sie sich irrt. Ich dachte, dem Kind geht es gar nicht gut. Wahrscheinlich will es nicht mehr. Oder es kann nicht mehr. Ich habe mir vorgestellt, wie es sein muß, geboren zu werden. Ich hätte es gut verstanden, wenn das Kind jetzt nicht mehr gewollt hätte. Es rührte sich nicht. Die ganze Zeit hatte es Millimeter für Millimeter geschafft. Jetzt aber nicht mehr. Ich dachte, jetzt sitzt es fest. Jetzt steckt es in der Klemme. Es kam mir bekannt vor. Die Stimme sagte, Sie machen das schon, aber ich wußte nicht, was. Ich dachte, wenn es feststeckt, kriegt es doch keine Luft. Was für ein Elend. Das Kind hat sich nicht gerührt. Nicht vorwärts und nicht zurück. Vielleicht gibt es auf, dachte ich. Wenn man keinen Ausweg hat, gibt man auf. Dann stirbt man. Herztod. Das Geborenwerden war mir traurig und hoffnungslos und erbärmlich. Ich habe über die Wehen hinweggeatmet, es war nicht, was die Atemfrau uns hätte beibringen können, es war ums Leben, und danach habe ich gemerkt,
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