Gut genug - Erzählung
sie haben die Hände gefaltet und gemurmelt, sei unser Gast und bescheret hast, aber es ist nichts mehr, woran sie glauben. Deshalb haben sie die Mutanten gesammelt. Die Kindergärtnerinnen durften sie nicht erwischen, weil es verboten gewesen ist. Es gab gute Mutanten und böse Mutanten, und die guten sind eine Schildkrötenart gewesen und hießen wie die Maler in der Renaissance, die bösen seltsamerweise amerikanisch; das alles spielt sich in der Kanalisation in New York ab und ist ein bißchen wie im Dritten Mann, wo Orson Welles am Ende durch die Abwässer watet, nur eben nicht in Wien in der Nachkriegszeit, sondern New York und viel später. Die Kindergärtnerinnen haben nicht gewußt, daß sich jede Generation beibringt, wie es ist, Menschen zu sein, sie haben lauter liebe Lieder mit den Kindern gesungen und Puzzles gelegt, erst Puzzles mit kleinen Kätzchen und Ferkeln und Pferden und später mit dem Vierwaldstädter See, und Flo hat sich vor dem Essen die Finger gewaschen, aber hatte die Hosentaschen voller Mutanten, und kaum hat eine Kindergärtnerin nicht hingeschaut, hat er mit den anderen Kindern über die New Yorker Kanalisation verhandelt und diese Schildkrötentiere getauscht. Wenn irgend etwas auch nur entfernt ein Stöckchen war, hat er damit geschossen, weil jede Generation von der anderen verschieden ist, aber Menschen sind irgendwie alle.
Ich hatte nach den paar Jahren gelernt, so zu tun, als ob ich die Mutter wäre. A.C. hat gesagt, ich tu so, als ob ich der Vater wäre, weil wir noch immer nicht wußten, wie es geht, und es aufgegeben hatten, jemand zu suchen, den wir fragen könnten. Flo hat nicht den Eindruck gemacht, als wäre er sehr beschädigt, aber man kann es natürlich nicht wissen.
Flo hat gesagt, versprich, daß du nie bei Rot über die Straße gehst, weil es an der Ecke eine Ampel gegeben hat, an der dauernd welche totgefahren wurden, und natürlich sind es dann Kinder, und zweimal sind es Kinder gewesen, die Flo aus dem Kindergarten gekannt hat, also hat er angefangen, Angst zu haben, und ich habe gesagt, versprochen, aber Flo hat gesagt, das sagst du bloß. Immer muß ich dabei sein, wenn du über die Straße gehst, damit ich sehen kann, daß du nicht doch bei Rot gehst. Ich habe gesagt, ich habe es aber versprochen. Ich habe gesagt, versprich mir, daß du nicht verloren gehst. Flo hat gesagt, versprochen. So haben wir es gemacht und sind jeder seine Wege gegangen, weil es keinen Sinn hat, Angst umeinander zu haben. Man hat sie, sogar oft, aber es hat keinen Sinn.
Nun. Die achtziger Jahre sind um, jemand hat die unterste Flasche rausgezogen, und es fängt an zu scheppern. Ali wäre fast Ärztin geworden, aber dann hat sie schnell noch ein Kind gekriegt, und es hat auch was und muß repariert werden. Manchmal ruft sie an und sagt, ich bin völlig erschossen, und dann sagt sie, wie es geht, und es ist wie bei Poe oder Kafka. Meine Mutter ruft manchmal an und sagt, du mußt nicht immer, oder du mußt Flo nicht immer, am besten, ihr kommt ein paar Tage zu mir, aber dann erzieht sie doch lieber Alis Töchter. Flo löst über Wasserdampf die japanischen Marken von Beas Postkarten ab und füttert manchmal die Katze. Meistens nicht. Mein Vater sagt, und während wir hier aufs Altersheim sparen, riecht es im Süden nach Süden, er geht zum Rauchen auf den Balkon, und manchmal sagt er auch, ich glaube, ich lasse mich scheiden. Einmal hat meine Mutter versucht zu sterben, aber es ist mir nicht recht gewesen, und ich habe gesagt, du hast gefälligst am Leben zu bleiben, und so hat sie es dann gemacht.
Gelegentlich singt A.C. die Englein und Papageno auf phrygisch.
Bei Weltuntergang kannst du nichts machen.
Gut.
Genug.
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