Gute Nacht Jakob
wollte mit der Kutsche hinfahren, aber Onkel Gustl sagte, das sei albern, es sei ja nur um die Ecke. Trotzdem zog er seine beste Uniform an und trug den Schnurrbart den ganzen Tag in der Binde.
»Da sieh den Gockel!« sagte Tante Jenny zur Mama.
Herr Woicek, der uns an der Tür empfing, hatte ganz weiße, blitzende Zähne, schlug Onkel Gustl auf die Schulter und nannte ihn »Gustl« und »Alter Räuber«. Im Haus war alles sehr weit und hell und sauber und roch gut. Man hörte ganz leise die Maschinen rumpeln. Drinnen waren zwei wunderschöne Kaffeetafeln gedeckt, eine für die Erwachsenen und eine niedrige, an der wir Kinder und die Gouvernante saßen. Jakob wurde allseits bewundert und dann auf eine Lehne gesetzt. Einen Lappen hatte ich mitgebracht, einen ganz neuen.
Die drei Frauen sprachen von dem Kind, das die Frau Apotheker bekommen hatte, und wie das im einzelnen geschah. Woicek fragte Onkel Gustl: »Was macht der General?«
»Ach, der Lederäppel...«, sagte Onkel Gustl.
Was weiter bei den Erwachsenen gesagt wurde, weiß ich nicht, denn Josefa goß sich gerade die Schokolade über das Kleid und wurde von der Gouvernante zur Säuberung hinausgebracht. Jakob flatterte hinterher. Wir vier übrigen Kinder futterten im Akkord und grinsten uns mit vollen Backen und schokoladebeschmierten Mündern an.
Nach einer Weile kam die Gouvernante mit der gesäuberten Josefa wieder. Hinterdrein Jakob, der im Schnabel etwas hatte, was aussah wie die obere Schale von meiner seligen Schildkröte. Am Erwachsenentisch erzählte Herr Woicek gerade von den Einkäufen, die er kürzlich auf einer Geschäftsreise in Paris für seine Damen gemacht hatte. Sämtliche Frauen hingen an seinen Lippen. Er saß behaglich zurückgelehnt, und seine Zähne blitzten herausfordernd, während Onkel Gustl gänzlich abgehängt in seinem Kaffee rührte. Er sah traurig aus.
Ich versuchte inzwischen, Jakob seine Beute abzujagen. Er nahm seine Zuflucht unter den Tisch. Ich kroch hinterher, die beiden Woicek-Kinder krochen von der anderen Seite herunter, um ihn zu umzingeln. Die Erwachsenen wurden unruhig, hoben das Tischtuch und sahen zu uns hinab.
»Was macht ihr denn da?« fragte die Mama ängstlich.
»Jakob hat eine Schildkröte!« sagte ich von unten.
»Ich hab’s!« schrie die jüngere Woicek-Tochter und tauchte mit rotem Gesicht auf. Sie hielt die Beute hoch, und im Moment erstarrte am Tisch die Unterhaltung. Jetzt kam auch die ältere Woicek-Tochter, sah sich Jakobs Beute an und prustete los: »Das ist ja Papas Reservegebiß! Das hat Jakob sicher im Schlafzimmer gefunden, als er mit der Mademoiselle und Josefa draußen war! Da schwimmt es immer in einem Napf auf dem Nachttisch und...«
Und in diesem Moment bekam sie eine Ohrfeige von ihrer Mama. Herr Woicek derweilen war ganz stumm geworden und wagte überhaupt nicht mehr den Mund aufzumachen, weil alle draufsahen.
Onkel Gustl legte ihm die Hand auf den Arm: »Übrigens, Georgi, ich habe einen kapitalen Zwölfender gesehen, gestern morgen, gleich oberhalb der Kapelle...«
»Oh!« sagte Herr Woicek und sah ihn dankbar an.
Alle taten, als ob sie sich sehr für Onkel Gustls Erzählung interessierten, aber ich merkte, daß sie alle an das Gebiß dachten und sich vorstellten, wie der elegante Herr Woicek wohl aussähe, wenn er es abends herausnahm. Mademoiselle brachte das Gebiß errötend wieder nach hinten.
Wir gingen ziemlich bald.
»Na, das ist ja eine schöne Bescherung!« sagte Tante Jenny, als wir vor dem Schloß ankamen. Sie und die Mama sahen Jakob und mich wütend an.
Onkel Gustl aber faßte Jakob unter den Schnabel und sah ihm tief in seine frechen Augen:
»Jakob«, sagte er, »hast du gesehen, wie der aufgeblasene Esel zusammenfiel wie ein Gummischwein? Jakob, du bist mein Freund!«
Drei Tage später fuhren wir ab. Tante Jenny weinte etwas, aber ich glaube, sie war ganz froh. Onkel Gustl reichte mir eine Tüte ins Abteilfenster, auf der stand: >Für Jakob<. Es waren Regenwürmer darin.
NAPOLEON
Die Bitterkeit und Wehmut der Heimkehr wurde durch die Tatsache stark gemildert, daß die großen Ferien nur etwa sechs Wochen entfernt waren. Wieder schlug mir der Atem des Großstadt-Ungeheuers beklemmend, erstickend entgegen. Wieder schien es mir, als seien unsere Zimmer inzwischen eingeschrumpft. Dieses Mal erschienen sie mir besonders klein, weil ich die Säle und Gemächer des Schlosses mit ihren gewaltig hohen Decken gewohnt war.
Auch das Jaköble schien sich schwer
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