Gute Nacht, mein Geliebter
ließ sich nie etwas anmerken.
Er hatte verschiedene Damenbekanntschaften, nahm die Frauen manchmal mit nach Hause und stellte sie seinen Eltern vor, nicht zuletzt, um seiner Mutter wenigstens die Andeutung einer Hoffnung zu geben.
Er wusste, dass seine Eltern enttäuscht von ihm waren, weder eine ordentliche Arbeit noch eine Familie hatte er.
Er konnte ihnen deswegen keinen Vorwurf machen, im Gegenteil.
Alles hätte sich anders entwickelt, wenn die Sache mit Margareta nicht passiert wäre. Das hatte ihn jeglichen Schwung verlieren lassen.
Am ersten Weihnachtstag begann es zu regnen, und das regnerische Wetter hielt mehr als eine Woche lang an. Seine Mutter tat ihr Bestes, um ihn zu verwöhnen. Sie deckte kleine Frühstückstabletts, und wenn er im Bett lag und gerade dabei war, aufzuwachen, hörte er ihr vorsichtiges Scharren an der Tür.
»Mein großer Junge«, murmelte sie und stellte das Tablett auf den Nachttisch.
Da bekam er Lust, zu ihr zu kriechen, zu weinen. Aber er hatte einen schlechten Geschmack im Mund und blieb unter der Decke liegen, regungslos.
Er blieb bis zum Tag vor Silvester. Länger hielt er es nicht aus. Ihre Atemzüge, ihre Art zu kauen, das Geräusch des Fernsehapparats, der so laut gestellt sein musste. Sie waren beide über siebzig. Einer von ihnen würde natürlich als Erster dran glauben müssen. Er wusste nicht, für wen es am schlimmsten sein würde, weiterzuleben, einsam.
Sie kannten sich, seit sie zwanzig waren.
Er sehnte sich nach seiner stillen, kühlen Wohnung. Er würde eine Flasche Wein leeren und ein Kreuzworträtsel lösen, seine Musik hören, Kraus und Frank Sinatra.
Seiner Mutter sagte er, dass er bei guten Freunden zu einer Silvesterparty eingeladen war.
Er war kaum zur Tür hereingekommen, als auch schon das Telefon klingelte.
Eine seiner Damenbekanntschaften.
Mist, dachte er. Nicht mehr.
»Wie geht es dir?« Ihre zarte Mädchenstimme.
»Gut, ich bin gerade nach Hause gekommen.«
»Bist du bei Kjell und Birgit gewesen?«
Sie hatte die beiden ein einziges Mal getroffen, tat aber so, als gehörte sie schon zur Familie.
»Ja.«
»Habe ich mir fast gedacht, ich habe versucht, dich anzurufen.«
»Aha …«
»Hans Peter? Darf ich morgen zu dir kommen? Sollen wir zusammen Silvester feiern?«
Er hätte sagen können, dass er arbeiten musste, aber er brachte es nicht über sich.
Sie kam, und sie hatte sich schön gemacht. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass sie so süß war, er begriff, dass sie sich Mühe gegeben hatte, seinetwegen, er bekam ein schlechtes Gewissen.
Sie waren sich bei gemeinsamen Freunden begegnet, danach hatten sie sich eine Zeit lang getroffen. Sporadisch, nichts Festes. Aber sie waren gemeinsam bei seinen Eltern in Stuvsta gewesen.
»Findest du mich aufdringlich?«, fragte sie ihn ohne Umschweife. »Eine Frau soll ja eigentlich nicht die Initiative ergreifen. Solche Initiativen, meine ich.«
»Ach, Unsinn!«
»Tja, jetzt bin ich jedenfalls hier.«
Sie hatte Lebensmittel mitgebracht, zwei Tüten voll, dazu Wein und Sekt.
Okay, dachte er. Sie will es so haben.
Etwas an ihr machte ihn geil, stärker als bei jeder anderen. Etwas in ihrer Art, den Kopf hängen zu lassen, schuldbewusst auszusehen.
Er erschreckte selbst ein wenig über seine Kraft.
Danach verließ sie sofort das Bett.
Er wusste, dass es für sie nicht schön gewesen war, es war zu schnell gegangen.
Er dachte, dass er ihr das sagen sollte, fand aber nicht die richtigen Worte.
Wir machen es noch mal, dachte er. Später.
Sie deckten gemeinsam den Tisch, und sie sagte nicht viel, aber als sie ein halbes Glas Wein getrunken hatte, begann sie zu weinen.
»Du …«, sagte er besorgt. »Was ist los?«
Sie antwortete nicht, weinte nur noch mehr.
Er warf seine Gabel auf den Tisch.
»Ich bin ein großes Stück Scheiße!«, schrie er.
Sie drehte sich zur Seite und beruhigte sich.
»Mein kleines Dummerchen«, sagte er leise. »Warum wolltest du eigentlich zu mir kommen?«
»Ich hab dich doch gern, hab mich nach dir gesehnt, ich hab mich die ganzen beschissenen Weihnachtstage nach dir gesehnt.«
Er stand auf und ging um den Tisch herum, fasste sie an den Armen, zog sie hoch.
»Sollen wir weiteressen?«
Sie zog ein Taschentuch hervor. Sie nickte.
Nach dem Essen schlief sie auf dem Sofa ein, an seinen Arm gelehnt. Sie atmete schwer und geräuschvoll. Er saß unbequem, traute sich aber nicht, seine Stellung zu ändern, voller Angst, sie könne aufwachen
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