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Gute Nacht, mein Geliebter

Titel: Gute Nacht, mein Geliebter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger Frimansson
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und etwas von ihm fordern. Einsamkeit erfüllte ihn.

3. KAPITEL
    Nathan hatte die grüne Militärhose getragen, sie war viel zu dick dort im Dschungel, aber das hatte er nicht gewusst, als er sie kaufte, er fand einfach, sie sei praktisch und billig. Preiswert hatte er gesagt, Justine erinnerte sich genau an dieses Wort. Niemand sah, als er fortging, um für einen Moment seine Ruhe zu haben, niemand außer ihr.
     
    Wahrscheinlich schrie er, als der Pfeil ihn traf. Wahrscheinlich schrie er, vor allem aus Überraschung, vielleicht tat es aber auch ein wenig weh. Er fiel im gleichen Augenblick, und unter ihm waren die Stromschnellen und die Wasserfälle, sie schluckten jeden Laut und hatten so viel Kraft, dass alles, was sie mitrissen, zerschmettert wurde.
     
    Manchmal meinte sie, diesen Schrei zu hören. Sie war jetzt daheim, wieder daheim in ihrem Haus, aber dennoch. Und sobald sie diesen Schrei hörte, sah sie auch den Körper, wie er sich im Fallen einmal um sich selbst drehte, sah seine Arme und seine Hände, die sie geliebt hatte.
     
    Ihr Haus war schmal und hoch, auf fast schon holländische Art. Ursprünglich war es nur zweigeschossig gewesen, also hatte Papa das Dachgeschoss ausbauen lassen, um etwas mehr Platz zu schaffen. Aber dann kam es doch nie dazu, dass sie dort oben saßen, im Sommer war es oft zu heiß und im Winter zu kalt.
    Ihr Vater hatte keine praktische Veranlagung. Er hatte Handwerker beauftragt, junge Männer in Latzhosen, sie waren die Treppen rauf- und runtergerannt und hatten ihre Lippen lautlos zu eindeutigen Angeboten geformt, wenn sie im Nachthemd herausgekommen war.
    Sie hatte krank im Bett gelegen, dagelegen und auf ihre Schritte und das Hämmern gelauscht, und ganz allmählich wurde ihr klar, dass sie kein kleines Mädchen mehr war.
    In der hintersten Ecke des Kellers befand sich die Ölheizung. Der Tankwagenfahrer meckerte andauernd, wie schwierig es sei, an die Heizung heranzukommen, wenn er Öl liefern sollte, das Haus liege zu nah am Ufer, es sei praktisch unmöglich, Schläuche zu haben, die lang genug seien. Papa bestach ihn regelmäßig mit einer Flasche Whisky, eine Tradition, die Justine übernommen hatte. Natürlich war es nicht mehr der gleiche Lieferant. Ihrer war verknöchert und reizbar. Er sprach einen Dialekt, der es ihr sehr schwer machte, zu verstehen, was er sagte. Sie hatte das Gefühl zu schrumpfen, sobald sie das Motorengeräusch des großen Tanklastwagens hörte. Eine Zeit lang erwog sie, auf Öl zu verzichten, wusste aber nicht, wie sie sonst das Haus hätte heizen sollen. Es gab zwar einen offenen Kamin im zweiten Stock, aber sie ging davon aus, dass er nicht reichen würde. Die beißende Kälte setzte sich vom See herkommend in die Wände und in den Boden.
    Außerdem war sie nur einmal im Jahr gezwungen, dem Tankwagenfahrer zu begegnen. Sie stellte die Whiskyflasche jeweils vor das Kellerfenster, verziert mit einem gekräuselten Papierband.
    »Vielen Dank für das Öl«, schrieb sie auf einen kleinen Zettel, auf den sie die Flasche stellte. Der Zettel lag anschließend immer noch da, und die Tinte hatte begonnen, sich aufzulösen.
     
    Im Keller stand auch jener altertümliche Waschzuber, den Flora unbedingt weiterbenutzen wollte. Zweimal im Monat machte sie dort unten große Wäsche, Tage, an denen sowohl Justine als auch ihr Vater schlechter Laune waren. Flora machte sich dann hässlich, und es hatte den Anschein, als genieße sie es geradezu, sich in ein abstoßendes Waschweib zu verwandeln. Sie band sich ein Tuch um die Haare und trug jenen nach Staub stinkenden, gemusterten Kittel, an dem mehrere Knöpfe fehlten. Sie durchlief eine Art umgekehrter Aschenputtelverwandlung, und ihre Finger hinterließen brennende, feuchte Abdrücke auf Justines Wangen.
     
    Der Flur war winzig, aber trotzdem mussten sie hier ihre Hüte und Mäntel aufbewahren. Überhaupt gab es nur wenig Kleiderschränke. Als Erwachsene hatte sie sich manchmal darüber gewundert, dass sich Papa, bei seinem Vermögen, dazu entschlossen hatte, in einem so kleinen Haus zu bleiben, selbst wenn es direkt am Mälarsee lag. Es hatte etwas mit ihrer Mutter zu tun, mit etwas Nostalgischem.
    Justine hatte Floras Mäntel und den Blaufuchspelz weggeräumt, alles in große Plastiksäcke gestopft, Papas Lodenmantel, seine Mützen und Hüte hatte sie in einen anderen Sack gelegt. Sie war fest entschlossen gewesen, das Ganze zu Emmaus oder Humana zu bringen, aber in letzter Minute hatte sie es sich

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