Guten Morgen, Tel Aviv
ich?
Es wird immer schwieriger, mein »ich« zu definieren. Denn seit Kurzem bin ich auch noch der Jay Leno von Israel. Vor ein paar Wochen begann ich, für eine israelische Zeitung zu schreiben. In dieser Zeitung werden alle Autoren mit einer Art Karikatur illustriert. Zumindest glaube ich, dass es Karikaturen sein sollen. Denn das Portrait, das ich an den Illustrator geschickt hatte, zeigte mich als attraktive, junge Frau. Das Bild, das schließlich in der Zeitung abgebildet war, ähnelte stark einer hellblonden Neandertalerin mittleren Alters. Zumindest dachte ich das, bis meine amerikanische Freundin R. mich darauf hinwies, dass ich, wenn überhaupt, ein blonder weiblicher Jay Leno sei. Mittlerweile habe ich auch im richtigen Leben das Gefühl, mein Kinn wächst und wird mehr und mehr gesichtsdominant. Vielleicht verwandle ich mich tatsächlich in einen ungehobelten Urmenschen. Wahrscheinlicher aber bin ich eine orthodoxe, rumpelstilzende Jay-Leno-Karikatur. Ich bin der israelische Wolpertinger.
Cats and the City
Ich bin ein großer Tierliebhaber. Schon als Kind konnte ich an keinem frei laufenden Kätzchen vorbeilaufen, ohne Futter zu besorgen. Meine Freundin S., mit der ich zusammen in Indien war, wird bezeugen können, dass sich kontinuierlich vier bis fünf Hunde auf unserer Strandhüttenterrasse tummelten. Selbst nachdem sie uns jede Nacht kläffend die Ruhe nahmen und sich mehrmals auf dem Balkon erbrachen, war es mir nicht möglich, sie wegzuschicken. Sie lagen auf meinem Handtuch, ich lag im Sand. Ich liebe Tiere eben.
Meine Tierliebe wird in Israel auf eine harte Probe gestellt. Tel Aviv ist sozusagen ein wahr gewordener »Andrew Lloyd Webber«-Horror. Drei Millionen Straßenkatzen gibt es in Israel. Ich glaube, sie leben fast alle in der City. Es ist unmöglich, an mehr als drei Häusern vorbeizukommen, ohne eine Straßenkatze zu sehen. Die meisten scheinen wohlgenährt und einigermaßen gesund. Außer in der Tschernikowsky-Straße. Die ist wie die Bar 25 in Berlin. Oder die Reeperbahn in Hamburg. Dort hängen all die fertigen Katzen rum.
Im Frühjahr ergab es sich dann, dass all die Streunerkatzen Nachwuchs bekamen. Als ich das erste Grüppchen tapsiger Fellbündelchen sah, wusste ich, bald würde ich das Füttern beginnen. Mein wunderbarer Lebensbegleiter hasst Menschen, die Katzen füttern. Das liegt nicht daran, dass er ein allgemeiner Tierhasser ist. Nein, ein Naturkundler erzählte ihm einst, dass die Massen an Katzen einen seltenen Vogel in Israel fast ausgerottet haben. Die israelische Natur ist aus dem Gleichgewicht. Ihm als Patrioten geht das besonders nah.
Ich fütterte trotzdem. Auslöser waren Katzenbabys, die nun auf dem Grundstück unseres Mehrfamilienhauses herumtollten. Ich ignorierte sie einige Tage, bevor sie mich mit lautem Maunzen und Miauen in die Knie zwangen. Bewaffnet mit meiner Katzen-Überlebungsausrüstung (enthält laktosefreie Milch, Wasser und zwei Schälchen) machte ich mich auf, um Gutes zu tun. Die Mutter der Kätzchen stoppte mich. Sie sah aus wie eine Hyäne. Ich habe noch nie in meinem Leben eine so gemein und fies aussehende Katze gesehen.
Mein Mitleid war geweckt. Noch am gleichen Tag ging ich Katzenfutter für die fiese Katze kaufen. Schließlich, so meine Logik, musste die Mutter wohlgenährt sein, um die Kleinen durchzubringen.
Die erste Fütterung verlief in etwa wie die letzte »Siegfried und Roy« – Show. Ich platzierte das Schälchen, die fiese Katze kam, und als ich das Schälchen weiter auffüllen wollte, kratzte sie mich blutig. Ich werde ihren Blick dazu nicht vergessen. Er verfolgt mich seitdem in meinen Träumen. Das Blut lief an mir herunter, und ich ergriff die Flucht. Nachdem ich mit Sicherheit sagen konnte, dass ich nicht an der Katzenkrankheit (die gibt es tatsächlich!) sterben würde, redete ich mir gut zu, dass die fiese Katze wahrscheinlich einfach Angst hatte, ich würde ihr das Futter wieder wegnehmen. Ich hatte die Logik einer geschlagenen Frau.
Einige Tage nach dem Angriff der fiesen Katze wollte ich im Hof mein Fahrrad abschließen. Ich öffnete die Tür zum Hof. Die fiese Katze saß circa zehn Meter von mir im Sand. Als sie mich sah, rannte sie auf mich zu. Sie sah immer noch aus wie eine Hyäne. Sie wollte die Sache mit mir zu Ende bringen. Uns trennten zehn Meter. Sie setzte an zum Sprung.
Ich konnte gerade so entkommen. Ich hatte Angst vor einer Katze. Es war die fieseste Katze, die ich je gesehen habe, aber sie war bei
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