Guten Morgen, Tel Aviv
Ausgerechnet Israel
Alle ziehen nach Berlin. Ich ziehe weg. Nach Israel.
In das Land der Heiligen, das Kleinod religiöser Fanatiker und anderer Spinner, Zentrum politischer Diskussionen von Pasewalk bis Gummersbach.
Wenn schon wegziehen, dann spektakulär. Jeder hat eine Meinung zum Nahoststaat. Das Land spaltet die Massen.
Am meisten überraschte mich mein alter Kumpel A., mit dem ich als Backfisch um die Häuser zog. Damals beschränkten sich unsere Gespräche auf Anabolikakonsum und seine Mädchengeschichten. Als er erfährt, dass ich wegziehe, schweigt er. Und sagt schließlich: »Ach ja, der Nahostkonflikt. Da habe ich neulich eine Reportage gesehen. Wie siehst du das denn dort politisch?«
»Wie ich das sehe? A., wir haben uns noch nie über etwas anderes als Steroide und Bräute unterhalten. Und plötzlich machst du einen auf Maischberger?«
Ja, Israel liegt jedem am Herzen. Oder schwer auf dem Herzen. Und jeder verlangt im Gegensatz zu Neu-Heimaten wie New York oder Potsdam eine Rechtfertigung, warum man denn jetzt ausgerechnet da hinzieht. Israel. Das macht verdächtig.
Ich sag dann immer, mein Freund ist Israeli. Das stimmt natürlich auch und unterbindet zumindest für die folgenden zehn Gesprächsminuten Diskussionen jedweder politischer Art. Eine Art Feuerpause vor dem großen antiisraelischen Angriff. Besonders in Berlin ein beliebter Volkssport in Kneipen, Bars und auf Heimatfesten. Einmal habe ich im Wahn von Berliner »All you can do«-Attitüde einen »I-Herz-Israel-Anstecker« im In-Club getragen. Natürlich sollte das nicht unbemerkt bleiben. Kurz hinter der Garderobe fragte mich ein Klüngel-Bubi in Cordhosen und Steppjacke, ob ich mich eigentlich nicht schäme, diesen Pin zu tragen. Ich wollte nicht unhöflich sein und stellte mich vor. Er sagte, er sei ein moderner Antisemit, der alle Israelis hasst. Mein israelischer Freund drohte, den Anstecker in seinen Kopf zu bohren. Und meine Freundin B. war besorgt, dass wir jetzt aus dem Club fliegen. Das erlebt man natürlich mit einem »I love New York«-T-Shirt nicht.
Manchmal wünsche ich mir, ich wäre nach Ruanda gezogen. Dafür interessiert sich wenigstens keiner. Aber es ist so schwer, ruandische Männer kennenzulernen.
Und nun bin ich also in Israel. Hier angekommen, fühle ich mich verpflichtet, die top drei der meistgestellten Fragen an einen Auswanderer wie mich zu beantworten.
Viele Menschen glauben ja, Israel sei pures Kriegsgebiet. Und fragen besorgt:
Ist es da nicht gefährlich?
Ja, das stimmt. Es ist gefährlich hier. Israelische Autofahrer zum Beispiel befinden sich Tag für Tag in einem kriegsartigen Ausnahmezustand. Zebrastreifen halten sie für Safari-Deko, Schulterblicke nutzen sie lediglich, um auf der Rückbank zu wühlen, und Krankenwagen lassen sie aus Prinzip nicht vorbei. Wäre ja noch schöner, wenn die sich vordrängeln.
Hast du nicht Angst vor Terroranschlägen?
Ja, natürlich habe ich Angst. Diese Angst vor Terroristen wird aber durch die Angst, im Straßenkrieg – der Schlacht zwischen Autofahrer und Mensch – das Zeitliche zu segnen, überschattet.
Und schließlich die Frage, die trotz des »Was hab ich denn damit zu tun?«-Mantras meiner Generation immer wieder gestellt wird:
Wie reagieren die Israelis darauf, dass du aus Deutschland kommst? Wegen des Holocausts und so.
Wenn sie hören, dass ich aus Berlin komme, sagen sie mir, dass sie Berlin lieben und dort unbedingt hinwollen. Am liebsten für immer.
Und dann fragen sie mich, warum ich um Gottes willen von Berlin nach Israel gezogen bin.
Laut, lauter, Israel
Wenn jemand von Israel als dem Ach-so-Heiligen-Land spricht, war er noch nie da. Oder nur in Jerusalem (was wohl ungefähr auf das Gleiche rauskommt). Ich würde es eher das schreiende Land nennen. Manchmal auch das brüllende. Keifende. Rumschnauzende. Blaffende. Oder wie meine Mutter es beim ersten Besuch ausdrückte: »Ich konnte heute Morgen gar nicht mehr schlafen. Selbst die Vögel zwitschern hier lauter.«
Willkommen im Land der Schreihälse. Ob Mensch oder Tier, wer hier nicht mindestens einmal am Tag die 100-Dezibel-Schwelle überschreitet, ist kein lebendes Wesen. Zumindest keins mit israelischer Identität. Und das sage ich nicht als Fahrstuhl-Schweiger, als in öffentlichen Verkehrsmitteln nach Ruhe suchende Deutsche. Denn in meinem Heimatland gehörte ich einst der schreienden Klasse an. Ich brüllte, wo ich konnte. Als Kind gen Balkon im fünften Stock nach einer Decke oder
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