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Guten Morgen, Tel Aviv

Guten Morgen, Tel Aviv

Titel: Guten Morgen, Tel Aviv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hoeftmann
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Stoppuhr bereit.
    Am Tag der Tage stellten wir dann fest, dass wir wohl die Einzigen in der Stadt waren, die das Ganze ernst nahmen. Während wir wie aufgescheuchte Hühner durch die Straßen sprangen, saßen unsere Nachbarn entspannt auf ihrem Balkon. Dass das Café an der Ecke gut besucht war, konnte ich gerade so im Vorbeiflug erkennen. Wir aber rannten und rannten, um schließlich vor einem verschlossenen Luftschutzraum zu stehen. Auf unseren wütenden Anruf beim Ordnungsamt reagierte die dortige Dame seelenruhig mit den Worten, wir sollten das Ganze mal nicht so ernst nehmen. Es handele sich schließlich nur um eine Übung.
    Typisch Tel Aviv. Krieg ist hier einfach nicht angesagt. Als Anfang der 90er-Jahre irakische Scud-Raketen auf die Stadt prasselten, standen die Tel Avivis auf den Dächern und bestaunten das Feuerwerk. Und nach jedem noch so verheerenden Terroranschlag sah man nur Tage später wieder volle Cafés, Restaurants und Busse. Böse Zungen nennen die weiße Stadt am Mittelmeer deswegen »die Blase«. Ich glaube, das ist lediglich der Neid auf ein normales Leben, wie es im restlichen, echten Israel kaum möglich ist. In vielen Städten spielen Kinder auf unterbunkerten Spielplätzen. Im Norden kommen Raketen der Hisbollah angefegt, im Süden der Hamas. Und Jerusalem, Jerusalem ist sowieso der unnormalste Ort der Welt.
    Ich habe mehrmals versucht, mit diesem Jerusalem warm zu werden. Es will mir nicht gelingen. Zwar glaube ich, dass sich die Welt in dieser einen Stadt erklären lässt, und weiß als Berlin-Liebhaber geteilte Orte mit Historie und Konflikten durchaus zu schätzen. Aber Jerusalem, nein, das ist einfach zu hart. Die Stadt ist für mich als Journalistin in Israel wie eine unangenehme Person, die man nicht leiden kann, mit der man aber zusammenarbeiten muss. Deswegen ist man nett, versucht aber eigentlich immer, so schnell wie möglich wieder weg zu kommen.
    Schon wenn ich mit dem Bus in die Stadt hineinfahre, beschleicht mich dieses Bedürfnis nach Flucht. Überall spazieren Religiöse aller Richtungen. In schwarzen Gewändern, verhüllt oder perückt (ultra-orthodoxe Frauen tragen Perücken, um ihr Haar nicht zu zeigen). Die Stimmung ist ungefähr so friedvoll wie vor einem Hansa-Rostock-Spiel. In Jerusalem treffen die Streithähne des politischen Konflikts täglich aufeinander. Und alle sind so unendlich unentspannt.
    Zwar ist auch Tel Aviv von den Akteuren nicht einmal 30 Autominuten entfernt, aber in der Stadt selbst sind die Welten zwischen arabischen und jüdischen Israelis getrennt wie nirgendwo. Paradoxerweise leben übrigens viele »Linke«, die für die Rechte der arabischen Israelis und Palästinenser kämpfen, in Tel Aviv. Also dort, wo sie am weitesten von der politischen Realität entfernt sind. Ich verstehe sie ja sogar. Tel Aviv ist ein Hort der Entspannung, verglichen mit dem unangenehmen Kollegen. Jerusalem, diese Stadt liegt wie ein Stein auf meinen Schultern.
    Nur einmal hatte ich ganz kurz überlegt, meine Meinung über die israelische Hauptstadt zu ändern. Ich hatte einen schönen Spaziergang durch die deutsche Kolonie und die Fußgängerzone Ben Yehuda gemacht. Und überrascht festgestellt, dass es auch normale Menschen in der Heiligen Stadt gibt.
    Zehn Minuten später hatte ich eine Dose Pfefferspray im Gesicht, als ich zwischen streitende Juden und Araber geriet. Das war es dann. Zurück nach Tel Aviv. Dorthin, wo man die Neuigkeiten über Israel wie jeder andere aus den Nachrichten erfährt. Wo das Leben noch unreal sein darf und Hedonismus und nicht Außenminister Lieberman das Sagen hat. Wo der Schwulenstrand neben dem der Orthodoxen liegt und Bunker als Partystätten genutzt werden. Ich persönlich habe Krieg sowieso noch nie gemocht, und bei der nächsten Übung bringe ich eine Tröte und Luftschlangen mit.

Die Gretchenfrage
    Im bedeutendsten Werk der deutschen Literatur fragte ein junges Mädchen einst: »Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?« Eine Frage, die heute in Deutschland praktisch ausgestorben ist. Wenn ich genau darüber nachdenke, weiß ich bei der Hälfte meiner deutschen Freunde nicht einmal genau, was ihre Hausreligion ist, sofern sie denn eine haben. In Israel ist das anders. Hier ist das Weltbild Goethes noch angesagt. Und so kann ich nicht zählen, wie oft ich diese eine Frage gehört habe, seitdem ich hier bin. Die einzige und erste Frage, die alle stellen: »Bist du jüdisch?«
    Es ist ja nicht so, dass ich nicht verstehen kann,

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