Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Guten Morgen, Tel Aviv

Guten Morgen, Tel Aviv

Titel: Guten Morgen, Tel Aviv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Hoeftmann
Vom Netzwerk:
und rief gegen den donnernden Lärm der Jets an: »Das sind die F16. Wow.« – »Was machen die denn so?«, brüllte ich zurück. »Na, die bombardieren Gebiete. Wie Libanon, Gaza.« Ich stellte mir vor, am Strand in Gaza zu stehen anstatt in Tel Aviv und die Jets andüsen zu hören.
    Nur einen Tag vor den Feiern zu Israels Unabhängigkeit, am »Jom HaSikaron«, gedenken die Israelis den Gefallenen ihres Staates. Als Gefallene gelten selbstverständlich Soldaten, die ihr Leben in einem der offiziell acht Kriege des jungen Landes verloren haben, aber auch Zivilisten, die bei Terroranschlägen oder Ähnlichem umgekommen sind. Von den acht Kriegen hat Israel drei angefangen. Alle drei waren eine Reaktion auf etwas: 100000 feindliche Soldaten an der Grenze, Terroranschläge oder Raketenhagel. Dementsprechend sieht sich Israel selbst immer noch als den kleinen David, der gegen die arabisch-muslimischen Goliaths kämpft. In den Gedenkzeremonien am »Jom HaSikaron« werden Schweigeminuten durchgeführt, Gebete gesprochen, das Wort »Shalom« fällt dabei fast genauso oft wie das Wort »Hagana« – Verteidigung.
    Der Trauertag geht direkt in den Unabhängigkeitstag über (jüdisch-israelische Feiertage beginnen abends) – die Fahnen werden landesweit von Halbmast hochgezogen. Auf dem Herzlberg in Jerusalem wird sozusagen auf Theodors Grab getanzt – die Stimmung auf den Straßen ist wie bei uns an Silvester. Feuerwerke, betrunkene Massen, Musik aus allen Ecken und Wohnungen. Die Israelis feiern ihr Land mit Leidenschaft – an diesem Tag ist es egal, ob links oder rechts – , alle sind Patrioten am Unabhängigkeitstag. Selbst Tel Aviv, die Hochburg der Linken, ist voller Fahnen, die stolz aus Fenstern oder von Balkonen wehen. Israel ist eins, na ja, fast.
    Die Palästinenser und viele arabische Israelis begehen fast zeitgleich den »Tag der Nakba« – Israels Unabhängigkeit 1948 bedeutete für sie die Flucht. Den Verlust ihrer Häuser, ihres Lebens wie es vorher war. Auch einige wenige jüdische Israelis machen am Unabhängigkeitstag nicht mit. Am Strand sah ich, während gerade mächtige Hubschrauber in Dreier-Formationen über uns hinwegratterten, den mittlerweile zum Christentum konvertierten Mordechai Vanunu in einer roten Badehose vorbeispazieren. Vanunu ist in Israel so etwas wie der Bilderbuch-Verräter. Er hat in den 80er-Jahren geheime Dokumente über Israels Nuklearprogramm veröffentlicht und so praktisch die atomare Bewaffnung des Landes bewiesen. Daraufhin saß er wegen Hochverrat 18 Jahre im Gefängnis. Auch heute unterliegt er zahlreichen Restriktionen: Er darf keine Handys und kein Internet benutzen, Israel nicht verlassen, nicht mit Ausländern sprechen und sich keiner Botschaft nähern. Vanunu spricht aus Prinzip kein Hebräisch mehr, habe ich mal gehört. Er fühlt sich nicht mehr als Israeli. Während die Leute am Strand die Parade von Flugzeugen und Schiffen jubelnd beobachteten, lief Vanunu wie ein Geist emotionslos vor sich hinstarrend durch die Menge. Der Bademeister schrie wiederholt in sein Megafon: »Wo ist der Applaus? Für den Ruhm des Staates Israel.« Vanunu zuckte nicht mal, er marschierte in seinem eigenen Land. Er hat bestimmt im Winter Geburtstag.
    Man hat immer automatisch Sympathien für diejenigen, die am gleichen Tag wie man selbst Geburtstag haben. Ich mag Israel. Trotz allem. Oder wegen allem. Es wäre für mich leichter, zum Zionismus als zum Judentum zu konvertieren. Dieser Traum, dieser Kampf um den einzigen Staat für Juden, fasziniert mich. An Gott zu glauben fällt mir schwer, aber Herzl, diesen großen Revolutionär, den gab es ganz sicher – auch wenn es mir leidtut, dass der Staat vor allem in seiner Religiosität so ganz anders geworden ist, als der große Theodor es sich vorgestellt hat. Vielleicht ist man aber auch als Deutscher eh anfällig für Patriotismus, solange es nicht für das eigene Land ist. Vielleicht will man auch endlich mal da mitmachen und nutzt die Gelegenheit, wenn sie sich bietet.
    An meinem Geburtstag trank ich daher auch auf Israel, das Land war gut zu mir. Meistens. Anderntags trat es mich in den Hintern, oft behandelte es mich ungerecht, nicht selten machte es mich wütend. Aber dann wieder brachte es mich zum Lachen, gab mir Geborgenheit und Inspiration. Und manchmal machte es mich unendlich glücklich.
    Israel war mein Freund geworden.

Danksagung
    Ich danke meinem wunderbaren Lebensgefährten für alles.
    Meiner Freundin Britta danke ich

Weitere Kostenlose Bücher