Guten Morgen, Tel Aviv
die sozialen Aktivitäten. Ständig schwirren in so einem Club Menschen um einen herum und wollen reden. Ich will das nicht. Ich will einfach nur auf meiner Liege sitzen und stumm sein. Aber ich war ja nicht alleine. Mein wunderbarer Lebensgefährte nutze jede Gelegenheit, um neue Freundschaften zu schließen. Er spricht gerne mit Menschen. Das ist überall so. Als wir in Berlin in unsere erste gemeinsame Wohnung zogen, kannte er nach einer Woche die gesamte Nachbarschaft. Bei Spaziergängen winkte er Leuten grüßend zu, die ich noch nie in meinem Leben gesehen hatte. Auch in Tel Aviv kennt er alle unsere Nachbarn beim Namen. Ich nicht.
Die einzige Nachbarin, die ich sympathisch finde und zu der ich eine Verbindung spüre, ist die verrückte Katzenfrau von gegenüber. Sie trägt eine blonde Perücke, und ihr Gesicht ist deutlich von Schönheitsoperationen gezeichnet. Jeden Nachmittag schlurft die circa 50-jährige Frau in Pantoffeln aus dem Haus, zischt laut, bis alle Katzen der Straße angelaufen kommen, und füttert sie dann. Ich füttere noch nicht alle, aber immerhin schon zwei Streuner, die mir besonders ans Herz gewachsen sind. Ich habe jedoch das Gefühl, in ein paar Jahren könnte auch ich eine gute Katzenfrau abgeben. Katzen reden nicht, sie schnurren nur.
Ganz im Gegensatz zu den Menschen, die in einem Club urlauben. Sie alle scheinen in ihrem normalen Leben nicht viel zu reden. Im Club aber drehen sie auf. Und dann rennen natürlich auch noch überall Animateure herum, die einen ständig zu irgendetwas drängen wollen. Alle sind so aktiv und fröhlich.
Ich hingegen wollte meistens einfach nur schlafen. Zum Beispiel nach dem Mittagessen, was im Club wirklich gut war. Es ging nicht. Überall liefen Menschen herum und schrien vor Glück, an der nahe gelegenen Bar wummerte Partymusik. Da gab ich auf und fügte mich meinem Schicksal. Es half ja nichts, sie würden mich nicht lassen.
So wurde ich eine von ihnen – eine Cluburlauberin. Ich flitzte durch die Anlage, kommunizierte fröhlich mit Fremden, partizipierte an Sportaktivitäten und schnorchelte in der Gruppe. Eines Abends dann tanzte ich sogar synchron mit all den anderen Clubbis. Ich warf die Arme in die Luft und drehte die Füße von rechts nach links. Mein wunderbarer Lebensgefährte war begeistert, wir waren eins. Als am Tag unserer Abreise eine Delegation von Animateuren zum Abschied winkte, musste ich weinen. Aber tief in mir drin freute ich mich schon schrecklich auf meine Katzen.
Nomen est omen
»Yogev sagt Danke für das Geschenk«, brüllte mein Wunderbarster mir neulich aus der Küche zu. »Wer ist das?«, schrie ich fragend zurück. »Adi heiratet«, berichtete er einige Tage später. »Schön«, lobte ich, »wer ist das noch mal?« – »Viele Grüße von Ofer soll ich dir sagen«, meinte er gestern. Wer sind diese Menschen, hämmerte es in meinem Kopf. Ich kenne diese Leute nicht!
Mein Freund hat eine sehr große israelische Familie. Obwohl ich alle seit mindestens fünf Jahren schon kennen sollte, weiß ich oft auf Familienfesten nicht, wen ich küssen muss, weil er dazugehört, und wen lieber nicht. Alle kennen meinen Namen. Ich nuschle und huste Begrüßungen. Die tausend Kinder kann ich schon gar nicht mehr zuordnen. So einige Male bin ich schon auf Feiern aufgefallen, weil ich mit Kindern aus dem Nachbarsaal gespielt habe. Ich kann diese Menschen unmöglich alle auseinanderhalten. Und ihre Namen kann ich mir schon gar nicht merken. Aber ich wusste schon lange, dass es so kommen würde.
Als ich meinen wunderbaren Lebensgefährten vor fast sechs Jahren kennenlernte, sagte er mir seinen Namen. Dann noch einmal. Dann noch einmal. Irgendwann kann man nicht mehr nachfragen. Ich wusste also vier Tage lang, die ich fast ausschließlich mit ihm verbrachte, nicht, wie er heißt. Nicht einmal ansatzweise. Mein Kopf ist ein Sieb für israelische Namen. Erst als er mir schließlich seine E-Mail-Adresse und Telefonnummer aufschrieb und netterweise seinen Vornamen mit notierte, entfuhr es mir: »Ah, so heißt du also.« Nun kann man in so einer Großfamilie ja schlecht alle 500 Leute auffordern, ihren Namen aufzuschreiben. Dazu kommt dann noch erschwerend, dass fast jedes Familienmitglied einen Spitznamen hat. Hen ist Bief. Sharona ist Tschucka. Itam ist Fly. Yogev ist Joe. Nahum ist Cookie. Ich weiß wirklich nicht, was das soll.
Doch auch mein eigener Name stiftet Verwirrung. Als ich meinen Wunderbarsten kennenlernte, fand er Katharina
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