Guten Morgen, Tel Aviv
Welt gibt es, scheint mir, so viele Friseurläden wie in Tel Aviv. Allein im Umkreis unserer Wohnung kann ich in ungefähr 20 verschiedenen Barbiergeschäften vor allem männliche Coiffeure beobachten, die gerade haarige Entscheidungen über das Leben anderer fällen. In vielen dieser Läden läuft extrem laute Musik. Die Figaros wuseln quasselnd zwischen ihren Kunden hin und her. Draußen stehen rauchende Damen mit alufolienbedecktem Haar.
Ähnlich sah es auch bei Friseur Samuel aus, der seinen Salon in einem hocheleganten Appartementhaus im Norden Tel Avivs führte. Ich wurde erst einmal auf einen Massagestuhl gepackt, von hinten näherte sich die Assistentin zum Haarewaschen. Der Sessel war tatsächlich unglaublich erholsam, ich sah bunten Fischen beim Schwimmen zu. Von rechts nach links, von links nach rechts.
Geradezu hypnotisiert setzte man mich schließlich auf den Sitz vor Samuel. Ein Trick. Ich hätte es wissen müssen. Der eigensinnige Haarkünstler nährte sich mit einem Föhn in der linken Hand. Ich schloss tiefenentspannt die Augen. Als ich wieder aufwachte, waren meine Haare gute zehn Zentimeter kürzer. Plötzlich hellwach, riss ich die Augen auf und starrte den Mann hinter mir im Spiegel an. Wer war er, dass er einfach so was tun konnte? Die Welt schien einen Moment stehen zu bleiben. Im Augenwinkel sah ich meinen wunderbarer Lebensfreund und seine Mutter Kaffeetassen halten. Die Assistentin lächelte begeistert in meine Richtung.
Wie in Zeitlupe schaute ich zurück zu Samuel. Er setzte an, etwas zu sagen. Mein diabolischer Blick hielt ihn davon ab. Mit engelsgleichem Lächeln sagte ich schließlich: »Du, Samuel. Ich habe eine ganz tolle Kosmetikerin, zu der solltest du unbedingt auch einmal gehen. Sie macht die besten Gesichtspeelings der Stadt.«
Saunabesuch
Heute wäre ich fast in der Sauna umgekommen. Ich glaubte daraufhin, dass ich bald ein echter Israeli sei. Doch der Tag sollte ganz anders ausgehen. Stunden später stand ich heulend an der Passkontrolle in Tel Aviv. Ich fühlte mich so wenig israelisch wie nie zuvor.
Lassen Sie mich erklären, worum es geht. Also eins nach dem anderen.
Israelis meckern viel. Vor allem und am liebsten über ihr eigenes Land. Zu heiß. Zu teuer. Die Politiker zu doof. Zu korrupt. Zu unfähig. Die Leute sind nicht mehr das, was sie mal waren. Die Werte verfallen. Sämtliche Immobilienpreise sind unverschämt. Die Bauweise ist lächerlich. In Israel gibt es aber trotz aller Kritikpunkte viele Neueinwanderer. Sie kommen aus Frankreich, den USA oder dem Jemen. Man kann sie von den »echten« Israelis leicht unterscheiden. Die »Olim«, »Aufsteiger«, wie die Neuankömmlinge im Hebräischen genannt werden, finden in ihrer neuen Heimat (die sie »Aretz«, zu Deutsch »das Land« nennen) alles toll. Sie sind blind vor Liebe, verklärt, bedingungslos. Alle anderen haben die rosarote Brille nach spätestens einem Jahr abgesetzt.
Bei mir lief das ähnlich. Ich habe Israel als Touristin kennen und lieben gelernt. Kein Land auf der Welt hat so viel Liebe von mir bekommen wie dieser kleine Nahost-Fleck. Ich liebte alles an Israel, die Geschichte, die Leute, das Essen, die Städte, die Energie. Auch ich war bedingungslos. Es dauerte nicht lange, bis diese Verzückung einer kritischeren Einschätzung wich. Dass viele Dinge in Israel nicht nur toll sind, weiß ich mittlerweile. Will man ein richtiger Israeli sein, ist man jedoch Nörgelfritze nach innen und Pressesprecher nach außen. Denn egal, wie sehr Israelis an ihrem Land herumkritisieren, nach außen würden sie es immer inständig verteidigen.
Ich bin auf dem Weg, ein Israeli zu werden. Zumindest dachte ich das, als ich am Wochenende in Zypern kurzurlaubte. Es waren die Tage, da Husni Mubarak nach 30 Jahren Diktatur abdankte, und ich saß auf einer Urlaubsinsel in der Sauna. Man kann nicht immer am richtigen Platz sein. Als ich beim Saunieren mit einem Engländer ins Gespräch kam und er mehr über das Heilige Land wissen wollte, sah ich eine Chance, meinem Dasein doch noch einen tieferen Sinn zu verleihen. Bei 90 Grad verwandelte ich mich in eine stolze Fürsprecherin des Staates Israel.
Ich schwärmte und lobte, was das Zeug hielt. Einwände widerlegte ich mit zahlreichen Argumenten, warum der Engländer unbedingt nach Israel fahren sollte. Die Sanduhr sickerte bereits das dritte Mal durch. Ich bin eigentlich kein Typ für die Sauna. Mir wird da immer schlecht. Mein Kreislauf ist nicht sehr stabil. Aber ich
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