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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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den Impuls, ihm wegen seiner unerträglich devoten Haltung das Honigglas an den Kopf zu werfen.
    »Das lässt sich nun auch nicht mehr ändern«, sagte ich ärgerlich und stand auf. »Warum erzählst du mir das alles? Ich kann dir nicht helfen.«
    Er bat mich, noch zu bleiben, denn er sei nicht fertig mit seiner Beichte. Dieses Wort ließ mich aufhorchen.
    »Woran ist deine Frau eigentlich gestorben?«, fragte ich argwöhnisch.
    »Es ist, als könntest du Gedanken lesen! Ihr Lebensende liegt mir schwer auf der Seele. Vor etwa zwei Jahren haben wir uns beide routinemäßig untersuchen lassen. Bei mir wurde ein bösartiger Primärtumor festgestellt, der bereits Metastasen gestreut hatte. Bernadette war bis auf einen zu hohen Blutdruck kerngesund.
    Eines Abends hatten wir einen heftigen Streit, es ging wie so oft um Bernadettes Nichte. Dieses scheinheilige Geschöpf hat es immer wieder verstanden, meiner naiven Frau viel Geld abzuknöpfen. Am Morgen nach unserer Auseinandersetzung hörte ich ein schwaches Klopfen aus ihrem Schlafzimmer. Nun will sie wohl wieder mal die Kranke spielen und sich den Tee ans Bett bringen lassen, dachte ich verärgert, aber ich lasse mich nicht unentwegt herumkommandieren. Erst später begriff ich, dass sie einen Schlaganfall gehabt hatte, nicht um Hilfe rufen konnte und mit ihrem Rückenkratzer gegen die Kommode schlug.«
    »Bei einem Schlaganfall kommt es auf jede Minute an«, sagte ich. »Waren die Retter nicht schnell genug zur Stelle?«
    »Natürlich hätte ich sofort den Notruf wählen müssen, aber ich ahnte ja nicht, dass es um Tod und Leben ging. Da ich einen Termin in der Onkologie hatte, zog ich bloß den Regenmantel über und verließ das Haus. Erst Stunden später kam ich zurück, da war sie bereits kalt. Seitdem leide ich unter schwersten Gewissensbissen und weiß nicht, wie ich mit meiner Schuld umgehen soll.«
    Ich reagierte ziemlich entsetzt. »Wurde der Arzt nicht misstrauisch?«, fragte ich.
     Wolfram schüttelte den Kopf, denn wie sollte man ihm nachweisen, dass er bei ihrem Anfall noch zu Hause gewesen war?
    Warum hatte er ausgerechnet mich zu seiner Beichtschwester erkoren? Und was nun? Erwartete er etwa, dass ich ihm eine Buße auferlegte?
    »Die unterlassene Hilfeleistung musst du vor deinem eigenen Gewissen verantworten«, sagte ich. »Ich bin kein Pfarrer, Richter oder gar Henker und werde mich jetzt auf die Socken machen…«
     Er hielt mich am Ärmel fest. »Bleib bitte noch ein paar Minuten, Karla! Ich habe dich nicht eingeladen, damit du mir die Absolution erteilst«, sagte er. »Leider habe ich weder Freunde noch Verwandte, die ich um Hilfe bitten könnte. Meine Wahl fiel auf dich, weil ich mir sicher bin, dass du weder berechnend bist noch die Situation ausnutzt. Jede andere Frau würde einen nicht unvermögenden, aber sterbenskranken Witwer mit List und Tücke umgarnen, um ihn möglichst bald zu beerben. Ich habe in einem vorläufigen Testament verfügt, dass dieses große Haus versteigert wird und der Erlös an ein Heidelberger Hospiz geht. Ein Viertel des Geldes soll jedoch an dich ausgezahlt werden, wenn du mir eine kleine Gefälligkeit erweist. Ich verlange nur, dass du Kosten und Pflege für meine letzte Ruhestätte übernimmst und ich direkt neben meiner Frau begraben werde. Die Inschrift auf meinem Grab soll lauten: Dein Feind ist nah .«
    »Wenn’s weiter nichts ist«, sagte ich erleichtert. »Geht in Ordnung!«
    Wir lächelten uns an, gaben uns die Hand, und der Pakt war geschlossen. Ich sah völlig ein, dass erst beide nebeneinanderliegenden Granitplatten das Motto dieser Ehe aufzeigten: Bleib, wo du bist! – Dein Feind ist nah!
    Als ich endlich auf der Straße stand, hatte ich das Gefühl, von einer älteren Frau am Fenster des Nachbarhauses beobachtet zu werden.

2
    Sensationslüstern
    Erst im Alter wird mir so richtig bewusst, wie einsam ich die meiste Zeit meines Lebens war. Eine eigene Familie hatte ich nicht, meine Schulfreundinnen wohnten nicht am Ort, mein Bruder war nach Kanada ausgewandert. Ich hatte kaum Besuch und wurde wohl aus diesem Grund auch selten eingeladen. Nach Möglichkeit mied ich sogar Betriebsfeiern, obwohl ich mit meinen Kollegen leidlich auskam. Deshalb war es Glück im Unglück, dass sich durch ein gemeinsam erlebtes Abenteuer eine engere Beziehung zu einer viel jüngeren Bibliothekarin ergab.
    Judith war damals neu in unserer Bibliothek, und sie hatte noch wenig Berufserfahrung. Als ich die Einladung zur

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