Hab und Gier (German Edition)
Umgang mit Mitarbeiterinnen und Besuchern eher vermieden hatte, war mangelnder Kontakt als Grund eher unwahrscheinlich. Es mussten private Umstände sein, die ihn zum Ausharren zwangen. Vielleicht würde ja seine Rente allzu knapp ausfallen, oder sein Häuschen war noch nicht abbezahlt.
Konnte es sein, dass die verblichene Bernadette es nicht gern gesehen hätte, dass Besuch ins Haus kam, und Wolfram jetzt etwas nachholen wollte? Soweit ich informiert war, hatte noch keine aus unserem ehemaligen Team sein Haus betreten. Kaum wieder daheim, rief ich Judith an, eine viel jüngere Kollegin, mit der ich mich nach wie vor gern im Rhein-Neckar-Zentrum zum Shoppen traf.
»Warst du in letzter Zeit auf dem Friedhof?«, begann ich und erzählte von meiner Entdeckung. Judith wusste aus der Zeitung, dass Wolframs Frau unlängst verstorben war, meinte aber, sie kenne fröhlichere Spazierwege als zwischen Gräberreihen. Über die seltsame Inschrift musste sie kichern, dann geriet sie allerdings ins Grübeln. Zum Gabelfrühstück war sie nicht eingeladen und fand im Übrigen diese Ausdrucksweise reichlich schräg.
»Hast du seine Frau mal kennengelernt? Hat er irgendwann eine Andeutung über seine Ehe gemacht?«, forschte ich weiter, aber der verschlossene und scheue Wolfram war mit ihr nie ins Gespräch gekommen.
»Ich hab mal so einen Spruch in einem alten Kinderbuch gelesen: Bleib, wo du bist, und rühr dich nicht! Dein Feind ist nah und sieht dich nicht! «, sagte Judith. »Könnte es sein, dass der seltsame Grabspruch etwas mit Erinnerungen zu tun hat?«
Wir überlegten hin und her und kamen zu keinem Schluss.
»Warum nur hat er ausgerechnet mich eingeladen?«, beharrte ich.
Ich hörte Judith leise lachen. »Wahrscheinlich sucht er eine neue Frau«, sagte sie.
Das war ja wohl nicht ihr Ernst. Ich bin geschieden und habe bekanntermaßen keine gute Meinung von den Männern. Außerdem bin ich weder der Typ Hausmütterchen noch besonders sexy, was in meinem Alter ja auch ohnedies kein Thema mehr ist. Für einen Witwer, der Wärme, Trost und Hilfe sucht, bin ich die falsche Adresse. Nach der lange zurückliegenden Trennung von meinem Mann hat sich keiner mehr für mich interessiert, wohl, weil ich selbst es nicht anders wollte. Am gleichen Abend schrieb ich eine Zusage für die freundliche Einladung, zum Anrufen war ich zu feige.
Natürlich wollte ich mich nicht sonderlich schick machen, ein Gabelfrühstück war keine Opernpremiere. Außerdem sollte sich Wolfram bloß nicht einbilden, ich messe seiner Einladung eine besondere Bedeutung bei. Sollte ich einen Blumenstrauß mitbringen? Ich entschied mich für ein Glas mit Ingwermarmelade, die ich nicht mochte und schon lange im Schrank stehen hatte. Eine Weile blätterte ich auch in einem Taschenbuch mit launigen Grabsprüchen, stellte es aber wieder ins Regal zurück – Bleib, wo du bist! gehörte nicht zu dieser Kategorie.
Eigentlich bin ich ein pünktlicher Mensch, aber zum Gabelfrühstück musste ich mit dem Bus fahren, da ich mir im Ruhestand kein Auto mehr leisten konnte. Ich erschien absichtlich zwanzig Minuten zu spät, der Gastgeber sollte nicht auf die Idee kommen, ich sei scharf auf ihn. Was mochte es wohl zu essen geben? Ein Kapaun war Wolfram insofern nicht, als er ein besonders mickriges Exemplar von Mann war, weder kräftig noch wohlgenährt. Ich hatte keine Ahnung, ob er mehr als ein weiches Ei kochen konnte. Doch wenn man wollte, konnte man auch mit Sekt und Kaviar, Austern und Krebsschwänzen Ehre einlegen – doch war das diesem unscheinbaren Männlein zuzutrauen?
Das Haus in der Biberstraße war riesengroß, ziemlich düster und lugte nur knapp hinter von Efeu umschlungenen Tannen hervor. Wolfram erwartete mich auf der Schwelle. Ich erschrak, als ich ihn sah. Er musste schwerkrank sein, so abgemagert und blass schaute er aus der Wäsche beziehungsweise dem dunklen Rollkragenpullover. Auf seinem Kopf wuchs kaum ein Haar mehr. Wir begrüßten uns vorsichtig, wussten wohl beide nicht genau, ob Distanz oder Herzlichkeit angebracht war. Dann setzten wir uns an den gedeckten Tisch, Tee und Kaffee standen auf einem Stövchen bereit. Zum Frühstück gab es ein Ei im Glas, außerdem Croissants, Rosinenbrötchen, Honig, fertig gekauften Fleischsalat und italienischen Schinken. Alles war tadellos, wenn auch nicht besonders originell. Wir stellten die üblichen Fragen nach dem gegenseitigen Befinden und früheren Kolleginnen, doch nach ein wenig Small Talk ging es
Weitere Kostenlose Bücher