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Hab und Gier (German Edition)

Hab und Gier (German Edition)

Titel: Hab und Gier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Große Sprünge kann ich zwar nicht machen, aber ich komme mit meiner Rente so einigermaßen aus.
    Nicht zu verachten wäre eine Eigentumswohnung mit Balkon oder Wintergarten und einer modernen Küche, Opernkarten für die allerfeinsten Häuser, eine Reise nach Indien oder ein Besuch bei meinem Bruder in Kanada. Mein uraltes Auto habe ich verkaufen müssen, ein kleiner Flitzer wäre toll. Stopp, sagte ich mir plötzlich, vielleicht ist der Holzwurm im Gebälk, und der olle Kasten bringt nur zweihunderttausend Euro. Ein Viertel der Gesamtsumme steht mir zwar zu, aber ich muss auch noch die Grabpflege und den Stein samt Inschrift bezahlen. Womöglich bleibt unterm Strich nur wenig übrig.
    Bereits im Bett, grübelte ich immer noch über das Gabelfrühstück und Wolframs seltsame Ehe. Bis jetzt kam der Schmerzensmann allein in seinem großen Haus zurecht, über kurz oder lang würde er aber Hilfe brauchen. Hatte er wenigstens eine Putzfrau? Wer würde für ihn einkaufen, kochen, ihn zum Arzt begleiten, ihn schließlich sogar pflegen? Ob er dergleichen Samariterdienste von mir erwartete? Eigentlich hatten wir so nicht gewettet, aber ich konnte ihm trotzdem ein wenig Unterstützung anbieten, bis er schließlich im Krankenhaus oder Hospiz landete. Was hatte er kurioserweise zu mir gesagt? Ich sei die einzige Frau, die seine Situation niemals ausnützen würde! Woher wollte er das wissen? War ich wirklich so edel und unbestechlich, wie er sich einbildete? Erst gegen Morgen schlief ich ein und wachte wie gerädert auf. Seit diesem sonderbaren Gabelfrühstück war es um meinen Frieden als Rentnerin geschehen, und ich murmelte wie das Gretchen im Faust : »Meine Ruh’ ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer und nimmermehr.«
    Gegen elf machte ich mir eine Tasse Kaffee und hätte mich am liebsten gleich wieder hingelegt. Ich zwang mich jedoch, ein paar Hausarbeiten zu erledigen und die Blumen zu gießen.
    Judith rief in ihrer Mittagspause an. »Ich hab was gefunden«, sagte sie stolz. »Ein ähnliches Haus kostet neunhunderttausend, allerdings nicht in Weinheim, sondern in Bensheim! Was sagst du nun?«
    »Nicht schlecht!«, sagte ich. »Ein Viertel davon wären fast zweihundertfünfzigtausend Euro, davon könnte ich mir bestimmt eine schicke Eigentumswohnung kaufen. Eine runde Million für mich allein wäre allerdings noch netter!«
    »Ich muss aufhören«, sagte Judith. »Träum weiter!«
    Das tat ich dann den Rest des Tages. Irgendwann wurde mir allerdings klar, dass ich noch einmal mit Wolfram sprechen musste. Sollte ich ihn anrufen? Es gab drei ehemalige Schulfreundinnen, mit denen ich manchmal stundenlang telefonierte. Bei Wolfram kam mir ein Telefonat unpassend vor. Ein ernsthaftes Gespräch hielt ich nur für möglich, wenn wir uns direkt gegenübersaßen und mit gedämpfter Stimme ungestört reden konnten: Schließlich ging es um seinen baldigen Tod. Sollte ich ihn meinerseits zu einem Imbiss einladen? Lieber nicht, denn ich wollte ja sein Haus näher in Augenschein nehmen. Vielleicht könnte ich das Bad aufsuchen, die Tassen in die Küche tragen und dadurch dem Grundriss auf die Spur kommen. Ich beschloss, ihn zu überrumpeln und in den nächsten Tagen einfach mal zu klingeln. Dann musste er sich auch nicht umständlich auf einen Besuch vorbereiten und würde am Ende wieder Fleischsalat kaufen.
    Ziemlich erschöpft legte ich mich mit der Zeitung aufs Sofa, mochte aber keine längeren Artikel lesen. Unentschlossen blätterte ich herum, fand keine interessanten Immobilienangebote und studierte schließlich die Todesanzeigen, Inserate von Bestattungsunternehmen und Friedhofsgärtnern. Ein Steinmetz bot günstige Grabsteine an, die Lasergravur für eine Inschrift kostete bloß 80   Euro. Ich riss mir die Seite heraus, rollte mich zur Wand und hielt zur falschen Zeit ein Schläfchen: ein untrügliches Zeichen, dass ich alt wurde. Ich hatte noch sehr gut die Klagen meiner Mutter im Kopf, weil mein Vater in seinen letzten Jahren oft am helllichten Tag mit der Brille auf der Nase und der Zeitung in Händen im Ohrensessel einnickte.
    Die nächsten Tage verstrichen nur zäh; ich war unentschlossen, konnte mich nicht zu einem Überraschungsbesuch bei Wolfram durchringen, um mir einen Überblick über das gesamte Gebäude zu verschaffen. Auch hielt ich es nicht für klug, noch irgendjemanden einzuweihen und um Rat zu fragen. Manchmal fehlte mir jede Kraft, mich mit dem Thema Grabstein, Villa und Testament des kranken

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