Hab und Gier (German Edition)
ans Eingemachte.
»Es geht mir zusehends schlechter«, begann er. »Der Tumor ist inoperabel und sprach kaum auf die Chemo an. Überall habe ich Metastasen, inzwischen bin ich austherapiert. Deswegen ist es an der Zeit, noch ein paar wichtige Dinge zu regeln. Verehrte Karla, ich wende mich nicht ohne Hintergedanken an dich, denn du bist die einzige mir bekannte Frau, die nicht an ihren Vorurteilen festhält…«
Verblüfft über diese Formulierung blickte ich von meinem halbausgelöffelten Ei auf. Er erwähnte eine Diskussion in unserer Bibliothek, bei der es um einen Exhibitionisten ging. Unsere Chefin und alle Kolleginnen hätten sehr hart über den Mann geurteilt, während ich als Einzige über dessen beschädigte Psyche nachgedacht hätte.
»Deswegen wusste ich, dass du mich nicht gleich verdammen würdest«, sagte er.
Was mochte jetzt kommen? Ich bekam fast ein wenig Angst, aber im Notfall war ich die Stärkere.
»Ihr habt mich sicher schon immer für einen verkorksten Typen gehalten, was irgendwie auch stimmt«, begann er zögernd. »Ich bin das Gegenteil eines Machos, in jungen Jahren wollte ich mich gern führen lassen und flog auf starke, etwas ältere Frauen. Bernadette war eine sehr beherrschende Person. So kam es, dass ich mich in der ersten Zeit unserer Ehe überaus wohl fühlte.«
Welche Vorurteile mochte er wohl meinen? »War Bernadette etwa eine Domina, und du warst ihr Sklave?«
Er schüttelte den Kopf. »So kann man das nicht sagen, sie hatte eher etwas von einer allmächtigen Mutter, sie wünschte sich eine große Familie, aber es wollten sich keine Kinder einstellen. Nach vielen Kuren und Hormonbehandlungen ihrerseits nahm mich ein Urologe unter die Lupe. Das Ergebnis war niederschmetternd – es lag ausschließlich an mir. Von da an war es mit dem häuslichen Frieden vorbei. Wenn ich es hin und wieder versuchte, bis in ihr Schlafzimmer vorzudringen, brüllte sie in einer Lautstärke, dass man es drei Straßen weiter hören konnte: Bleib, wo du bist, und rühr dich nicht! «
»Ach so«, murmelte ich, denn nun ging mir eine Stalllaterne auf. »Doch warum habt ihr euch nicht scheiden lassen?«
»Wir haben immer wieder über eine Trennung gesprochen, auch über eine Adoption. Heute könnten uns die Reproduktionsmediziner bestimmt helfen, doch damals gab es kaum Möglichkeiten. Bernadette hielt sich schließlich für zu alt, um es noch einmal mit einem anderen Mann zu versuchen. Wahrscheinlich fand sie auch mehr und mehr Gefallen daran, mich zu quälen. Ich wiederum hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich an ihrem Unglück schuld war, und nahm die Bestrafung hin. Wir wurden gewissermaßen zu einem Sadomaso-Paar, ganz ohne Peitschen oder Eisenketten…« Er machte eine Atempause und fuhr fort: »…obwohl das vielleicht besser gewesen wäre.«
Leicht verlegen trank ich einen Schluck von meinem kalt gewordenen Kaffee. Was wollte Wolfram denn nun von mir? Sollte ich den kranken Mann ein bisschen foltern, um seine Sehnsucht nach Bestrafung zu stillen? Weil mir kein passender Kommentar einfiel, probierte ich den Fleischsalat, obwohl ich ihn eigentlich nicht leiden kann – auch um endlich mal die besagte Gabel zu gebrauchen. Mein Gegenüber hatte bisher nur Tee getrunken und nichts Essbares angerührt. Am liebsten hätte ich mich verabschiedet, aber er hatte ja offensichtlich noch ein Anliegen.
Vorerst jammerte er jedoch weiter: »Vor etwa dreizehn Jahren bot man mir eine Stelle als Ressortleiter der Bremer Stadtbibliothek an. Ich hatte mich hinter Bernadettes Rücken beworben und freute mich sehr über die Zusage. Es galt, das Medienangebot nach Schwerpunkten zu strukturieren, was mir mehr lag als die rein bürokratischen Arbeiten, die ich bisher erledigt hatte. Aber Bernadette befahl mir wieder einmal: Bleib, wo du bist! Und ich musste absagen.«
»Warum nur?«, fragte ich. »Ein Umzug in eine Großstadt ist doch für jede Frau eine erfreuliche Herausforderung – oder etwa nicht?«
»Bernadette war eine reiche Erbin, auch dieses Haus gehörte ihr. Sie ist darin aufgewachsen und wollte darin sterben, niemals hätte sie es vermietet oder gar verkauft. Schließlich wollte sie es ja mit einer Kinderschar bevölkern, aber das habe ich ihr vermasselt. Bernadette und ich haben uns gegenseitig das Leben versaut.«
Allmählich geriet ich in Zorn, nicht nur auf die egozentrische Bernadette, sondern fast noch mehr auf diesen laschen Mann, der sich nicht emanzipieren mochte. Sekundenlang spürte ich
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