Habe ich dich schon mal geküsst?
schmerzte, weil sie die Zähne krampfhaft aufeinander biss und gegen die Tränen ankämpfte.
Sie hatte gehofft, etwas von dem Rafael de Luca wiederzufinden, in den sie sich verliebt hatte. Vielleicht hatte sie auch gehofft, dass der Kuss etwas entfachen würde, was Rafael zumindest die Möglichkeit in Betracht ziehen ließ, einmal etwas für sie empfunden zu haben.
Aber in seinen Augen war keine Spur von Erkennen gewesen. Lediglich Lust. Lust, wie jeder Mann sie verspüren konnte, ohne tiefere Gefühle zu hegen.
Blindlings marschierte Bryony los. Die Straßenlaternen wurden gerade angeschaltet, doch es war noch hell genug, dass sie die wenigen Blocks bis zu ihrem Hotel zu Fuß gehen konnte. Das würde ihr helfen, sich zu beruhigen. Rafaels Kuss hatte sie erhitzt, und es machte sie wütend, dass er so kalt und berechnend reagiert hatte.
Sie war sich vorgekommen wie ein Spielball seiner sexuellen Gelüste. So, als wäre sie überhaupt nicht wichtig, sondern bestünde nur aus einem Paar praller Brüste, die seiner Unterhaltung dienten.
Aber wahrscheinlich war sie von Anfang an nichts anderes für ihn gewesen.
Noch einmal durfte sie nicht so dumm sein. Erst wenn sie von ihm garantiert bekam – schriftlich! –, dass er das Grundstück nicht bebauen würde, würde sie sich gestatten, daran zu glauben, dass er sie nicht betrogen hatte.
Fröstelnd im frischen Wind blieb sie vor einer Ampel stehen. Ein Mann stieß mit ihr zusammen, und sie drehte sich erschrocken herum. „Hey!“
Er murmelte eine Entschuldigung, während die Ampel auf Grün schaltete und die Fußgänger losströmten. Weil sie abgelenkt war, merkte sie erst zu spät, dass jemand an ihrer Handtasche zerrte. Der Riemen rutschte herunter, und ihr wurde fast der Arm ausgerissen, als der Dieb sich mit der Tasche davonmachen wollte.
Wütend schnappte Bryony instinktiv mit der anderen Hand nach dem Riemen und zog.
Der Mann war nicht viel größer und schwerer als sie, aber wilde Entschlossenheit zeichnete sich auf seinem schmutzigen Gesicht ab. Er versetzte Bryony einen Stoß, sodass sie hinfiel. Der Sturz war so heftig, dass ihre Zähne aufeinander schlugen, aber der Riemen der Handtasche war um ihr Handgelenk geschlungen, und so leicht gab sie nicht auf.
Wieder zerrte der Dieb daran, und dieses Mal schleifte er Bryony ein paar Schritte mit, bevor er wütend fluchte und ihr einen Schlag ins Gesicht verpasste. Sie schrie auf und lockerte zwangsläufig den Griff. Aus dem Augenwinkel heraus sah sie etwas Silbernes aufleuchten.
Gelähmt vor Angst, sah sie das Messer auf sich zukommen. Doch der Angreifer zerschnitt nur den Riemen, sodass sie wieder rückwärts fiel, als die Spannung nachließ. Innerhalb von Sekunden war der Dieb in der Menge verschwunden, während sie auf dem Bürgersteig lag und eine Hand auf das schmerzende Auge hielt.
Menschen scharten sich um sie, und jemand hockte sich neben sie. „Geht es Ihnen gut?“
Sie drehte sich um, zu fassungslos, um reagieren zu können. Im nächsten Moment hielt eine große schwarze Limousine mit quietschenden Reifen neben ihr, und ein Berg von einem Mann stürzte heraus. Dabei bewegte er sich mit einer Anmut, die bei seiner Größe eher ungewöhnlich war. Er hockte sich neben sie und umschloss ihr Kinn. Besorgt drehte er ihren Kopf hin und her, um das Auge zu begutachten.
Er bellte irgendetwas in sein Bluetooth, doch Bryony war noch immer zu benommen, um zu verstehen, was er sagte oder mit wem er sprach. Sie hoffte, es war die Polizei.
„Miss Morgan, ist alles in Ordnung mit Ihnen?“, fragte er eindringlich.
„W…woher wissen Sie meinen Namen?“
„Mr de Luca hat mich geschickt.“
„Woher weiß er, was passiert ist?“, fragte sie erstaunt.
„Er wollte sichergehen, dass Sie heil im Hotel ankommen. Ich habe Sie nicht mehr erwischt, um Sie im Wagen mitzunehmen, und habe gerade nach Ihnen Ausschau gehalten, als ich sah, was hier passierte.“
„Oh.“
„Können Sie aufstehen?“
Sie nickte. Während er ihr auf die Füße half, legte sie schützend eine Hand auf ihren Bauch, aus Angst, dass das Baby bei dem Fall Schaden genommen haben könnte.
„Tut Ihnen etwas weh?“
„Ich weiß nicht“, erwiderte sie zitternd. „Ich habe Angst. Der Sturz …“
„Ich bringe Sie unverzüglich ins Krankenhaus. Mr de Luca kommt direkt dorthin.“
Bryony protestierte nicht, als er sie auf den Rücksitz der Limousine bugsierte. Er selbst setzte sich neben sie und erteilte dem Fahrer Anweisungen.
Weitere Kostenlose Bücher